MOTOR-EXCLUSIVE

Michael Specht (vm) - 31. Oktober 2014, 12:55 Uhr NEWS

Neues Jaguar Land Rover-Motorenwerk: Stolz der Briten

Die Gratulanten zur Eröffnung eines neuen Werks hätten nicht prominenter sein können.

Die Gratulanten zur Eröffnung eines neuen Werks hätten nicht prominenter sein können. Dass Jaguar Land Rover (JLR) in Wolverhampton in den britischen West-Midlands, einer Gegend, die nicht eben durch Vollbeschäftigung glänzt, eine hochmoderne Fabrik auf die Wiese stellt und 1 400 Jobs schafft, war sogar Königin Elizabeth einen Besuch wert.

Mehr aber auch nicht. Man stelle sich vor, Mercedes weiht in Thüringen eine neue Fabrik ein und Frau Merkel sitzt nur da und pinselt danach ihren Namen ins Gästebuch. Keine Rede, kein Lob an die Belegschaft, keine Gratulation, nichts. So etwas geht wohl nur in England. Das Team von Jaguar Land Rover trägt es mit Fassung. Man ist dennoch sehr stolz. Auf die funkelnagelneuen Werkshallen mit ihren Solardächern und natürlich darauf, dass sich ein britischer Autohersteller gerade beim hochtechnisierten Motorenbau zur Heimat bekennt. Zukünftig laufen in Wolverhampton alle 42 Sekunden komplett neu entwickelte Vierzylinder-Aggregate vom Band. Jaguar Land Rover steckte Insgesamt weit über eine Milliarde Euro in das Projekt.

Geld, das der Autobauer vermutlich aus der Portokasse nehmen konnte. Denn derzeit kennt JLR - seit 2008 im Besitz des indischen Tata-Konzerns - nur eine Richtung: nach oben.Es gibt kein Modell, das aus der Reihe fällt. Design, Technik und Markenimage stimmen perfekt. Die Fabriken arbeiten an ihren Kapazitätsgrenzen. 2013 hat man 425 006 Autos verkauft, davon prangte an 76 668 Modellen das Jaguar-Emblem. Nie zuvor waren es mehr. "In den vergangenen fünf Jahren haben wir Umsatz, Absatz und Belegschaft verdoppelt", sagt Mike Wright, Vorstand Strategie. Und das ist längst nicht das Ende der Fahnenstange. Denn im kommenden Jahr starten zwei neue Modelle, die für weiteres Wachstum gut sein sollen. Land Rover bringt den Kompakt-SUV Discovery Sport als Nachfolger des Freelander auf den Markt. Und Jaguar nimmt mit der Mittelklasse-Limousine XE die deutschen Premium-Hersteller ins Visier. Zielgruppe sind insbesondere Autokäufer, die gewöhnlich im 3er BMW, Audi A4 und in der Mercedes C-Klasse sitzen.

Ein Grund mehr, auch konkurrenzfähige Motoren unter die Haube zu stecken. Eigene, wohlgemerkt. Denn bislang bediente man sich bei Ford und dem französischen PSA-Konzern. Das soll sich mittelfristig ändern. Jaguar Land Rover will komplett unabhängig werden. Den Anfang macht nun im Jaguar XE ein 2,0-Liter-Vierzylinder-Dieselmotor, der in Wolverhampton gebaut wird. Der intern "AJ 200D" genannte Selbstzünder gehört zur sogenannten "Ingenium-Baureihe". Deren Entwicklung begann vor vier Jahren auf einem weißen Blatt Papier. Vorteil: Alles, was der Stand der Technik ist, steckt nun in ihm. Modernstes Thermo-Management, wenig Reibung, wenig Gewicht, saubere Verbrennung, hohe Laufkultur, gute Elastizität und nicht zuletzt ein sparsamer Umgang mit Sprit. Im Bestfall soll der XE, den es als Diesel mit 120 kW/163 PS und 132 kW/180 PS gibt, nur 3,8 Liter Dieself verbrauchen, was einem CO2-Ausstoß von 99 g/km entspricht. Kein Jaguar zuvor schaffte solch einen Wert.

Als zweiter Motor wird in Wolverhampton ein Vierzylinder-Benziner (AJ 200P) gebaut, über dessen Leistungs- und Verbrauchswerte Jaguar noch keine genauen Angaben macht. Er soll ab 2016 produziert werden. Beide, Diesel und Benziner, sind modular aufgebaut, ähnlich wie es BMW, Volvo und Mercedes derzeit machen. Diesel und Benziner teilen sich die gleichen Kolben, die gleichen Kurbelwellen und eine Menge anderer beweglicher Teile. Das soll helfen, Kosten zu sparen. Zudem können die Motoren aufgrund ihrer gleichen Hubräume (stets 500 Kubikzentimeter je Zylinder) und dem gleichen Zylinderabstand (Stichmaß) von denselben Robotern bearbeitet werden und auf derselben Fertigungslinie laufen.

Dies lässt folgenden Schluss zu: Da es mittelfristig in Wolverhampton nicht nur bei den Vierzylindern bleibt, wird Jaguar Land Rover hier eines Tages auch seine neuen Sechszylinder produzieren. Momentan werkeln unter den Hauben V-Motoren. Alles deutet darauf hin, dass JLR technisch seine Vierzylinder um zwei Brennkammern verlängert und damit in Zukunft auf Reihensechszylinder setzt. Zum doppelten Vorteil: Es ist der kostengünstigste Weg und im Laufverhalten gibt es keine bessere Konstruktion. BMW weiß das seit vielen Jahrzehnten. Mercedes hat den Reihenmotor ebenso gerade für sich wiederentdeckt und schmeißt ab 2016 seine alten V-Aggregate aus dem Programm.

Michael Specht

Dieser Artikel aus der Kategorie NEWS wurde von Michael Specht (vm) am 31.10.2014, 12:55 Uhr veröffentlicht.