MOTOR-EXCLUSIVE

Ulf Böhringer/SP-X - 30. Juni 2015, 14:41 Uhr AUTOMOBIL

Fahrbericht: Honda Crossrunner - Von allem etwas

VFR 800X heißt Hondas Crossrunner mit vollständiger Modellbezeichnung. Der V4-Motor und die variable Ventilsteuerung sind die besonderen Merkmale dieses Sporttourers mit aufrechter Sitzposition.

In zwei Modellen setzt Honda seinen aufwendigen 800er V4-Motor ein: Außer im tourengeeigneten Sportbike VFR 800F findet man ihn auch im sportlichen Tourenmotorrad VFR 800X; es trägt den Beinamen Crossrunner. In der Tat ist dieses Motorrad das Ergebnis eines Crossover-Konzepts: Der mit sehr sportlichen Talenten gesegnete V4 werkelt in einem Chassis, das aufrechtes Sitzen und damit entspanntes Fahren ermöglicht. Ganz ähnlich, wie es - zwei Leistungsstufen höher - mittlerweile auch BMW S 1000 XR und Ducati Multistrada 1200 tun. Zum Glück ist die Honda auch entsprechend preiswerter: In der Preisliste ist sie mit 12.490 Euro verzeichnet.

Noch mehr als bei anderen Motorrädern ist bei dieser Honda der Motor das absolut prägende Element: Ein V4 war stets und ist auch heute noch etwas Besonderes. Um ihm auch bei niedrigen Drehzahlen genügend Drehmoment zu entlocken, hat ihm Honda eine variable Ventilsteuerung mitgegeben; ab rund 6.500 Touren ermöglichen alle vier Ventile einen erhöhten Gasdurchsatz und damit volle Leistung, darunter werkeln nur jeweils ein Ein- und Auslassventil pro Zylinder.

Das funktioniert technisch ausgezeichnet. Während sich der Crossrunner-Motor bis zum V-Tech-Einsatz lammfromm gibt, ändert er mit Zuschaltung der restlichen Ventile seinen Charakter und beißt ab da richtig zu. Blitzschnell dreht er in den fünfstelligen Bereich und zeigt seinen sportlichen Grundcharakter. Kultiviert bleibt er dennoch, denn weder sind lästige Vibrationen noch allzu lärmiges Verhalten auszumachen. Gewöhnungsbedürftig ist, dass das Triebwerk unterhalb von 6.500 Umdrehungen nicht wirklich durchzugsstark wirkt - und mit ungefähr 60 Newtonmetern auch nicht ist. Die echte Musik spielt also zwischen 6.500 und 10.500 Touren. Ganz auf der positiven Seite ist dagegen der Benzinverbrauch angesiedelt, den wir im gemischten Verkehr mit 5,4 Litern pro 100 Kilometer ermittelt haben.

Über das Fahrwerk mit der schön anzuschauenden Aluminiumguss-Einarmschwinge und dem über ein Hebelsystem angelenkten Zentralfederbein wie auch für die Ergonomie lässt sich nur Gutes sagen. Zwar ist die Crossrunner mit 242 Kilogramm wahrlich kein Leichtgewicht, doch lässt sie sich, da bestens austariert, leicht fahren. Zum Einlenken muss man nicht am Lenker wuchten, Kurven aller Radien werden stabil umrundet. Auch der Geradeauslauf ist gut.

Dank in der Höhe zweifach justierbarem Fahrersitz ergibt sich ein angenehmer Kniewinkel, der Lenker ist angenehm geformt. Der nicht verstellbare Windschild könnte allerdings Feinarbeit vertragen, denn in Abhängigkeit von der Körpergröße es Fahrers treten ab etwa 130 km/h Turbulenzen am Helm auf, die auf längeren Strecken nerven. Dagegen sind Schalter und Hebel von gewohnt hoher Honda-Qualität. Ein wenig als Fremdkörper wirkt der links am Lenker befestigte, nicht integrierte Schalter für die Einstellung der Traktionskontrolle. Dieses elektronische Helferlein ist zweistufig einstellbar und macht seine Sache ausgezeichnet; auch die für Honda noch junge automatische Blinkerrückstellung gefällt uns prima. Das sehr auffällige LED-Licht sehen wir ebenfalls als klares Plus, auch wenn die Hell-Dunkel-Grenze bei Nacht extrem ist. Nützlich ist die fünfstufig einstellbare Griffheizung; ihre Bedienung ist allerdings mit dickeren Handschuhen etwas fummelig. Das Cockpit ist ordentlich bestückt und gut ablesbar; eine Fernbedienung vom Lenker aus für den Bordcomputer gibt es allerdings nicht.

Wer seine Crossrunner tourentauglich haben will, kommt um gehörige Zusatz-Investitionen dennoch nicht herum. So bietet Honda aktuell das Gepäcksystem (zwei Seitenkoffer, Topcase, Gepäckbrücke) samt dem eigentlich unverzichtbaren Hauptständer als ,,Travel-Paket" für rund 1.650 Euro und damit mit einigen Prozent Ermäßigung gegenüber den Einzelteilen an. Nötig ist aber auch noch eine Hinterradabdeckung, um nicht schon bei feuchter Straße dreckig zu werden. Als angenehm empfinden wir den Schaltassistenten, der freilich nur das Hinaufschalten ohne Kupplungsbetätigung ermöglicht. Dafür ist er mit 290 Euro dann doch recht teuer. Immerhin: Honda hat verstanden, dass viele Motorradfahrer ihr Fahrzeug individuell ausstatten möchten und bietet dafür passgenaue und zugleich funktionelle Teile an.

Alles in allem: Die Honda Crossrunner ist ein angenehm zu fahrendes Motorrad, dessen vierzylindriges Herzstück faszinieren kann, denn der V4-Motor entwickelt einen rundum angenehmen Klang. Sie lässt sich leicht fahren und gefällt auch durch eine sehr gute Verarbeitung; Zuverlässigkeit und Unkompliziertheit gehören ohnehin zu den Honda-Paradedisziplinen. Insofern erscheint es verwunderlich, dass die VFR 800X bei den aktuellen Neuzulassungen in Deutschland noch keine nennenswerte Rolle spielt: Unter den Top 50-Modellen ist sie zumindest bis Ende Mai noch nicht gelistet.

Technische Daten Honda VFR 800X Crossrunner

Motor:  Flüssigkeitsgekühlter 90° V4-Viertaktmotor, 782 ccm Hubraum, 78 kW/106 PS bei 10.250/min., 75 Nm bei 8.5000/min; Einspritzung, T-TEC, 6 Gänge, Kette.

Fahrwerk: Aluminium-Brückenrahmen; vorne 43 mm Telegabel, Vorspannung und Zugstufendämpfung einstellbar, 145 mm Federweg; Aluminium-Einarmschwinge hinten,  Zentralfederbein, Zugstufendämpfung und Vorspannung einstellbar, 148 mm Federweg; Leichtmetall-Gussräder; Reifen 120/70 R 17 (vorne) und 180/55 R 17 (hinten). 310 mm Doppelscheibenbremse vorne, 256 mm Einscheibenbremse hinten; ABS.

Assistenzsysteme: Traktionskontrolle

Maße und Gewichte: Radstand 1.475 mm, Sitzhöhe 815/835 mm, Gewicht fahrfertig 242 kg; Tankinhalt  20,8 l.

Fahrleistungen: 0-100 km/h ca. 3,6 s, Höchstgeschwindigkeit 209 km/h.

Preis: ab 12.490 Euro inkl. Nebenkosten

Dieser Artikel aus der Kategorie AUTOMOBIL wurde von Ulf Böhringer/SP-X am 30.06.2015, 14:41 Uhr veröffentlicht.