MOTOR-EXCLUSIVE

Jutta Bernhard - 5. September 2017, 16:51 Uhr OLDTIMER

Die mid-Zeitreise: Sonderdienst zur 47. IAA im Jahr 1977 in Frankfurt am Main

Am 24. August 1977 berichtete der mid im 26. Jahrgang über die 47. Internationale Automobil Ausstellung in Frankfurt am Main und das Ringen mit den Problemen von morgen.


Die Zeit, da das Auto infrage gestellt war, ein deutscher Bundesminister (Eppler) das Heer der chinesischen Radfahrer als Beispiel für ein substitutionelles Fortbewegungsmittel für das Auto propagieren konnte, der heute wieder selbstbewusst autofahrende Bundesjustizminister sich als Straßenbahn fahrender Oberbürgermeister feiern ließ, die außerparlamentarische Opposition jede Diskussion ketzerisch beherrschten und die mehr Lebensqualität verheißende damalige Bundesregierung verunsichert war, diese Zeit ist vorüber. Die 47. Internationale Automobil-Ausstellung in Frankfurt am Main, die einzige Großausstellung dieses Jahres nach dem Ausfall von Paris, London und Turin, ist sichtbarer Beweis: Nur "das Auto bringt uns weiter", wie der Frankfurter Slogan heißt, nicht Sprüche, Hetze, Verblendung, Rückschritt. Die Automobilindustrie mit dem weitverzweigten Zubehör ist der größte Arbeitgeber in der Bundesrepublik, in der Welt; das Automobil ist das Kernstück der Weltwirtschaft: in Produktion, als Auftraggeber, als Arbeitgeber, als Steuerquelle, als sozialpolitischer Gesellschaftsfaktor. Ohne Auto heute kein Fortschritt mehr, nur das Auto bringt uns weiter - in des Wortes beiderlei Bedeutung, sinnbildlich und direkt.

Im Zentrum der "open-market-policy"

Die Frankfurter Autoschau aus Blech, Chrom und Lack wird wieder die Schau des Jahres. Kein anderer Autosalon rund um den Erdball hat diese Bedeutung, weder Genf noch New York, weder Tokio noch Sao Paulo. Dabei ist es nicht das Anheimelnde Genfs, das Individualistische Turins oder das Exotische Sao Paulos, das den Reiz der Schau in der Mainmetropole ausmacht, es ist das bei aller Gerafftheit Gigantische dieser Ausstellung, die totale Konfrontation mit allen Marken im Schaufenster der Welt. Diese Internationalität verleiht der Frankfurter Ausstellung den Nimbus der Totalität auf einem Markt, der offen ist für jedes Modell und dieses auch in harter Währung bezahlen kann. Und seine Anrainer, die Schweiz, Österreich, die Beneluxstaaten mit ihrer Offen-Markt-Politik, auch. Das verspricht ein Käuferpotenzial, um das sich das Werben lohnt. Man muss schon lange suchen, um eine gleiche Vielfalt an Typen aller Marken der Welt auf den Straßen zu finden, wie in diesen Ländern.

Kritische Käufer suchen Wirtschaftlichkeit

Ihre Käufer aber sind kritische Verbraucher, und das prägt das Gesicht der Frankfurter Autoschau. Die Zeit des einfachen fahrbaren Untersatzes ist vorbei. Wirtschaftlichkeit in der Vielfalt ihrer Ausdrucksformen ist Trumpf. In einer Zeit, da die Energie knapp und teuer wird, die Arbeitslosigkeit das Wirtschaftsgeschehen bestimmt, Kurzarbeit wieder ins Haus steht, der gehobene und aufrechterhaltene Lebensstandard teuer ist, bei vermehrtem Einkommen die Steuern hoch sind, ein jeder aber dennoch an seinem Wagen festhält, stehen Faktoren wie Kompaktheit, Reparaturfreundlichkeit mit günstiger Kaskoeinstufung, Geräumigkeit, solide Ausstattung, sparsamer Verbrauch bei hoher Leistung, verbraucherfreundlicher Kaufpreis im Blickpunkt der Aussteller wie der interessierten Besucher. Von diesen Faktoren hängt die Erfüllung der Käuferwünsche ab, der Kauf des Wagens, der in der Fülle seiner Eigenschaften den Wunschvorstellungen seines Käufers am nächsten kommt.

Computerberechnete Modelle

Die vorbehaltlose Euphorie der 60er Jahre ist einer kritischen Schau gewichen, die die Form eines Autos konsequent der Funktionalität unterzuordnen verlangt. Aus dieser gebieterischen Forderung kommt die windkanalgeborene Keilform des neuen Autos mit dem niedrigen Cw-Wert, dem hohen Maß an aktiver und passiver Sicherheit, den robusten und wirtschaftlichen Motoren, den laufruhigen und stabilen, klar gegliederten, sichtfreien Karossen ohne viel Chrom und Zierrat, beulengesichert durch tiefgelegte Stoßleisten. Die heute computerberechneten Modelle aller Marken ähneln sich weitestgehend in ihren Klassen in der Problemlosigkeit ihrer Technik, dem niedrigen Gewicht bei hoher Fahrsicherheit, dem anspruchsvollen Komfort der Ausstattung, der strengen Orientierung an die ermittelten ergonometrischen Daten zur optimalen Ausnutzung der gegebenen Innenmaße für das größtmögliche Platzangebot.

Preiskampf zu erwarten

Mehr denn je wird die große Frankfurter Premierenschau mit dem reichhaltigen Ausstellungsangebot ein Wettbewerb der Preise. Bis zuletzt haben die Automobilwerke für ihre neuen Modelle ihre neuen, aufgrund des reichhaltigeren Ausstattungsangebots leicht höheren Preise zurückgehalten. Jeder wartete auf den Vorstoß des anderen. Da das materielle Angebot heutzutage in den einzelnen Klassen fast gleichwertig ist, werden neben der Markentreue letztlich der Preis und die Unterhaltskosten beim Kauf den Ausschlag geben, ehe Anfang des neuen Jahres dann die ersten Preiskorrekturen vorgenommen werden. Der Preis wird die Gunst der Käufer mehr und mehr beeinflussen in einer Zeit, da Preisbewusstsein als oberstes Gebot wirtschaftlichen Handelns gilt und manchen Blick für das Materiell-Sachliche trübt.

An der Wirklichkeit vorbeigeplant

Über 20 Millionen Autos laufen allein auf Deutschlands Straßen, 1960 waren es knapp 4 Millionen. Eine ungeheure Entwicklung, mit der weder Kommunen, Städte, Länder noch der Bund fertig wurden. Ihre Fehlentscheidungen in den 60er Jahren haben uns das heutige Chaos gebracht: die verstopften Straßen, den fehlenden Parkraum, die hohen Unfallquoten durch falsche Straßenführung. Anstatt auf Abhilfe ihrer Fehlentscheidungen von damals zu sinnen, erfinden sie immer neue Schikanen, um den Autofahrer zu treffen und dafür büßen zu lassen, dass man damals die heutige Situation falsch einschätzte. Die Frankfurter Automobilausstellung mit ihrem massierten Angebot neuer Wagen aus aller Welt ist sichtbares Zeichen dafür. Ihre Wünsche angemessen zu berücksichtigen mit einer Forderung nicht nur der Massen, die Frankfurt wieder zum Automobil-Mekka auserkoren haben, sondern jener 20 Millionen Pkw-Besitzer, die mit Frau und Kind rund 60 Millionen Bundesbürger repräsentieren und - wären sie eine Partei - jeder Regierung das Fürchten lehren könnten. In einer Zeit, da das Auto technisch auf dem absoluten Höhepunkt steht, rufen darüber hinaus Umweltschützer nach Einschränkungen, die bei aller scheinbaren Vernunft dennoch oft ungereimt sind: Geschwindigkeitsbegrenzungen, Fahrverbote in Stadtvierteln, Holperschwellen, Abgasforderungen, Anschnallpflicht, Senkung des Lärmpegels, Luftsackpflicht, und vieles andere mehr. Frankfurt wird auf dem "IAA Forum" auf alles Antwort geben, zwei Stunden an jedem Tag mit Spitzenvertretern der Industrie und der Regierung.

Dieser Artikel aus der Kategorie OLDTIMER wurde von Jutta Bernhard am 05.09.2017, 16:51 Uhr veröffentlicht.