MOTOR-EXCLUSIVE

Mirko Stepan - 13. November 2017, 09:44 Uhr SPECIALS

mid-Interview mit Kai Sieber: Mercedes X-Klasse unter der Lupe

Mercedes hat jetzt die neue X-Klasse als ersten Pick-up der Marke in den Handel gebracht. Der mid hat mit Kai Sieber, Leiter Design Brands & Operations, über das neue Modell gesprochen.

Mercedes hat jetzt die neue X-Klasse als ersten Pick-up der Marke in den Handel gebracht. Der mid hat mit Kai Sieber, Leiter Design Brands & Operations, über das neue Modell gesprochen.

mid: Herr Sieber, wie geht man als Designer an ein Fahrzeug heran, dass in einem für die Marke völlig neuen Segment angesiedelt ist?

Kai Sieber: Das war in der Tat eine besondere und neue Herangehensweise. Wenn wir eine C-Klasse entwickeln, dann kennen wir unsere Kunden, die Dimensionen des Autos, man fängt sofort an zu zeichnen. Ganz besonders war bei diesem Projekt, dass wir zunächst eine intensive Informationsphase von einem Jahr vorgeschaltet haben, um das Produkt zu verstehen, zu lernen, worauf es bei einem Pick-up ankommt. Wir haben mit Kunden in Argentinien, Brasilien, Südafrika, Australien, aber auch in Europa, gesprochen. Was braucht der Kunde? Teilweise ist es eine gemischte Nutzung, teilweise möchte er ein Arbeitstier, teilweise aber auch ein Lifestyle-Vehikel. Danach haben wir im Team angefangen, zu skizzieren, ohne nach rechts und links zu sehen und uns gefragt: Wie muss das Ding ausschauen?

mid: Die X-Klasse soll ein Premium Pick-up sein. Was sind die Design-Zutaten dafür?

Kai Sieber: Mir war die Breite des Fahrzeugs wichtig. Ich wollte, dass das Auto sowohl eine Schulter hat, aber auch eine entsprechende Breite. Die Räder sollten außerhalb der Taille liegen, damit das Auto breit steht. Segmenttypisch haben Midsize-Pick Ups einen relativ kurzen Frontüberhang für den Böschungswinkel und einen relativ langen Hecküberhang. Diese Asymmetrie haben wir komplett übertrieben. Wenn man sich die X-Klasse anschaut, dann sieht man, dass die Form der Scheinwerfer den kurzen Überhang vorne fast abschneidet. Die Ecke des Scheinwerfers sitzt über dem Rad. Mit dem Panel in der Frontschürze betonen wir das noch.

mid: Und am Heck?

Kai Sieber: Hinten ist es umgekehrt. Bei den Wettbewerbern im Segment fällt auf, dass die Rückleuchten jeweils weit um die Ecke in die Seite gezogen sind, um den langen Hecküberhang zu kaschieren. Wir haben gesagt: das machen wir anders. Wir wollen zeigen, dass man auf die Ladefläche viel aufladen kann. Die Länge des Hecks wollten wir also nicht kaschieren. Im Gegenteil, wir wollten sie hervorheben. Das gibt dem Auto in der Seitenansicht etwas sehr Charakteristisches. Das waren grob skizziert die Zutaten für unser Exterieur-Design.

mid: Und was war nötig, um eine Eigenständigkeit zu erreichen, die die X-Klasse ganz klar als Mercedes ausweist?

Kai Sieber: Aus Kundensicht ist die X-Klasse nahe am SUV. Alle SUV von Mercedes-Benz haben den Lamellengrill mit zwei Lamellen und der Lochung in diesen Lamellen. Es hilft natürlich bei der Luftzufuhr, ist aber vor allem auch ein Design-Merkmal, so dass es technischer und robuster wirkt. Wir wollten aber auch ausdrücken, dass der Pick-up noch härter ist als ein SUV. Deshalb haben wir der X-Klasse das protektive Panel in der Frontschürze verpasst, und den noch massiver ausgeprägten Unterfahrschutz. Dennoch steht die X-Klasse ganz im Zeichen unserer Design-Philosophie "Sensual Purity", also sinnliche Klarheit. Die Sinnlichkeit zeigt sich in der ganz weichen Schulter unterhalb der Fensterlinie.

mid: Und die Klarheit?

Kai Sieber: Ganz lange hatten wir an unserem 1:1-Design-Modell zwei Seiten. Die eine Seite hatte einen klassischen Undercut, eine Sichtkante, wie wir es beispielsweise in C-, E-, und S-Klasse haben. Im E-Klasse Coupé haben die Kollegen dann zum ersten Mal eine Schulter ohne Undercut gewagt. Das wollten wir auch versuchen, dem Auto eine weiche Schulter geben. Im ersten Moment waren wir sogar sehr kritisch, dachten, das könnte zu weich, zu weiblich anmuten. Dann haben wir am Design gefeilt und am Schluss festgestellt: Donnerwetter, eine ganz weiche Schulter ohne Unterteilungen macht das Auto noch monolithischer, es schaut dann aus wie aus Marmor gemeißelt.

mid: Was waren aufs Design bezogen die größten Unterschiede, beispielsweise zu einem Van oder Kleintransporter?

Kai Sieber: Völlig neu war für uns, was das Heck alles können muss. Wir hatten zunächst über horizontale Leuchten nachgedacht, was sich aber nicht umsetzen lässt, weil man keine Leuchten-Elemente in die Heckklappe packen kann. Manche Kunden fahren mit geöffneter Heckklappe - das geht also nicht. Es blieb also nur noch die Möglichkeit, die ganzen Leuchten-Funktionen in einer ganz kleiner Fläche unterzukriegen. Deren Form erinnert jetzt fast an ein I-Phone - wir haben eine umlaufende rechteckige Form, super-clean und funktional, und integrieren hier unsere Lichtsignatur, die zwei LED-Blöcke. Natürlich mussten wir beim Design auch berücksichtigen, dass die Basisversionen keine LED-Rücklichter haben. Bestimmend war also die Standard-Leuchte. Mit der LED-Leuchte konnten wir uns dann austoben.

mid: So viel zur Hülle. Aber Kunden sitzen im Auto. Worauf kam es bei der Gestaltung des Innenraumes an?

Kai Sieber: Die Formensprache, die sinnliche Klarheit, findet sich auch komplett im Interieur wieder. Es sind wenig Kanten zu finden, sondern eher großflächige Zierteile, wie sie aus anderen Mercedes-Modellen - Pkw und Nutzfahrzeugen - bekannt sind. Hier kann man dann mit Optiken spielen: gebürstetes Aluminium, Holzoptik, Carbon. Wir haben uns natürlich die Frage gestellt, wie wir den Premium-Charakter ins Interieur bekommen. Wir arbeiten viel mit Echtmetall. Man hat also auch diese metallische Haptik, spürt Kälte oder Wärme beim Anfassen. Inspiriert haben uns für das Metallteil in der Mittelkonsole die Getriebeglocken, die unverkleidet in die Cockpits so mancher Vorkriegs-Rennwagen ragten. Die Mischung aus sinnlichen und technischen Elementen ist wichtig. Die Mittelkonsole ist sehr technisch, sehr kalt gestaltet, aber sie bettet sich in ein weich und sinnlich gestaltetes Dashboard ein. Wichtig: alles muss nach Mercedes aussehen, sich so anfühlen und muss auch riechen wie Mercedes. Das Nappaleder der X-Klasse kennen die Kunden auch aus der C-Klasse.

mid: Was ist für Sie die Besonderheit bei der X-Klasse?

Kai Sieber: Dass ein Weltkonzern in ein komplett neues Segment einsteigt. Das erlebt man als Designer nicht oft. Wahrscheinlich nur einmal im Leben. Daran beteiligt zu sein, ja, das ist etwas ganz Besonderes.

Mirko Stepan / mid

Dieser Artikel aus der Kategorie SPECIALS wurde von Mirko Stepan am 13.11.2017, 09:44 Uhr veröffentlicht.