MOTOR-EXCLUSIVE

Ulf Böhringer/SP-X - 14. November 2017, 14:49 Uhr MOTORRAD

Eicma: Studien und Ideen - Zwischen Serie und Zukunft

Zahlreiche Studien und Konzeptbikes lassen erkennen, in welche Richtung sich das motorisierte Zweirad der Zukunft entwickelt und welche Modelle schon bald zu den Händlern rollen werden

Zweiradmessen sind seit jeher auch Schaufenster der Entwicklungsabteilungen. So hat man beispielsweise bereits 2008, also Jahre vor Beginn der Serienfertigung der erfolgreichen BMW R NineT, auf der EICMA das bayerische Konzept ,,Lo Rider" sehen können; es ließ wesentliche Elemente des späteren Serienbikes erkennen. Sogenannte ,,Concepts", auf der eben zu Ende gegangenen EICMA 2017 ausgestellt, kamen unter anderem von Honda, Moto Guzzi und Yamaha; hinter ihnen stehen glasklare Entwicklungsprojekte, die teils schon in Monaten, sicherlich aber binnen Jahresfrist zur Vorstellung der Serienfahrzeuge führen werden. Es gibt aber auch Studien, die kaum eine Chance haben, jemals in Serie auch nur näherungsweise umgesetzt zu werden wie beispielsweise die Honda Interceptor. Und es gibt Projekte - ein Beispiel trägt den Namen Otto -, die eine ganz neue Sichtweise auf das motorisierte Zweirad eröffnen und auf deren Umsetzung man sich bereits freuen kann.

Das in Taiwan derzeit in der Entwicklung befindliche Projekt otto MCR hat nichts mit dem deutschen Männernamen zu tun: Die zwei ,,o" im Namen sollen zwei Räder symbolisieren, erklärt ein Otto-Repräsentant am Messestand, die zwei ,,t" stehen für den Rahmen. Die drei Buchstaben MCR sind das Kürzel für Mini City Racer - das Otto MCR will ein flinkes Vehikel für urbane Gebiete sein, natürlich elektrisch angetrieben. Der Motor steckt im Hinterrad, der 4,8 kWh-Akku hängt im stählernen Rahmen und erfüllt eine mittragende Funktion. Wer das MCR näher inspiziert, registriert eine Reihe ungewöhnlicher Ansätze: So ist beispielsweise der Blinker mit der integrierten Rückfahrkamera gekoppelt; bei Aktivierung eines Blinkers zeigt das farbige Display die Verkehrssituation hinter dem Fahrer. Sehr praxisnah erscheinen auch die Fahrzeugaktivierung mittels Fingerabdruck-Sensor sowie der Einbau einer Staubox direkt vor dem Fahrer.

Um dem ,,Racer"-Ansatz gerecht zu werden, wird das Otto MCR mit 7,5 kW//10 PS Leistung und 170 Newtonmetern bei 132 Kilogramm Gewicht kräftig motorisiert sein; das Spitzentempo soll bei etwa 100 km/h liegen, die Reichweite bei 100 Kilometern. Das Laden des völlig leeren Akkus soll eine Sache von maximal zwei Stunden sein; im Schnelllademodus stehen 95 Prozent der Akku-Kapazität nach nur 30 Minuten zur Verfügung. Bemerkenswert ist neben dem anvisierten Verkaufspreis von 5.000 US-Dollar, dass die Otto-Company sämtliche Fahrzeugteile - Motor, Akku, Schalter, Hebel, Software - selbst entwickelt. Wann Start der geplanten Serienproduktion sein kann, will aber niemand verbindlich formulieren.

Das Schweizer Unternehmen Quadro, das bereits mehrere Dreirad-Neigeroller und ein vierrädriges Neigefahrzeug produziert, will sich offenbar breiter aufstellen und ist dazu eine Kooperation mit dem taiwanesischen Hersteller Sym eingegangen; von dort sollen künftig die Antriebskomponenten für jene Fahrzeuge kommen, die unter der Marke Nuvion in Mailand erstmals aufgetreten ist. Die ,,neue Sicht" - Nuvion stellt eine Verbindung zu ,,new vision" her - wird deutlich kleinere und damit zugänglichere Dreirad-Roller auf die Straßen bringen, um höhere Stückzahlen zu erreichen. Auch eine Vierrad-Variante ist angedacht.

Vermutlich schon wesentlich näher an einer Umsetzung in die Serienfertigung ist das Projekt CV2 des südkoreanischen Herstellers Kymco. Der Touren-Scooter basiert auf dem Oberklassemodell AK 550i, soll aber dank zahlreicher Details auch weite Reisen komfortabel möglich machen. So sind unter anderem eine ausgefeilte Verkleidung, Lehnen für Fahrer und Sozia sowie eine integrierte Gepäcktransport-Lösung vorgesehen. Wie das dreirädrige Concept-Fahrzeug CV3, das eine  soll der Zweizylindermotor gegenüber dem im AK 550i verwendeten Triebwerk leistungsstärker ausfallen; zudem wird der Kühler an die Fahrzeugfront verlegt, es wird einen neuen Rahmen aus Aluminium statt Stahl und neue Radführungen geben. Das Neigesystem des zur Gänze überdachten CV3 weist an der Front vier Federbeine auf und ist eine Kymco-Eigenentwicklung. Bis zur Serienreife dürfte vermutlich noch mehr als ein Jahr vergehen.

In der Endphase der Entwicklung befindet sich bereits die Adventure-Version der neuen KTM 790 Duke. Der in Mailand ausgestellte Prototyp weist deutliche Bezüge zum Rallye-Motorrad 450 EXC Rallye auf; ob der zugunsten eines niedrigen Schwerpunkts sehr weit nach unten reichende Tank den Weg in die Serien schafft, ist noch nicht bestätigt. Dennoch dürfte fast sicher sein, dass auf der EICMA 2018 das fertig entwickelte Serienfahrzeug der KTM 790 Adventure präsentiert wird. Auch bei der Husqvarna Svartpilen 701 Concept dürfte es bis zum Erreichen der Serienreife nicht länger dauern; das Schwestermodell Svitpilen 701 geht bereits im Frühjahr 2018 in Produktion.

Ebenfalls in einem Jahr zu erwarten ist die Serienversion einer neuen Moto Guzzi-Generation, deren Conceptbike unter der Bezeichnung V 85 in Mailand zu sehen war. Der Antrieb erfolgt durch einen neuen luftgekühlten V2-Motor, der deutlich leistungsstärker als bisherige Guzzi-Aggregate sein soll - die Rede ist von etwa 80 PS. Auch der Stahlrahmen und die Radführungen werden komplett neu entwickelt. Ob von der munteren Farbgebung des Conceptbikes noch etwas in die Serien gerettet werden kann, ist fraglich.

Wie lange der Entwicklungsprozess bei der bereits für diese EICMA erwarteten Yamaha 700 Tenere noch dauert, ist unklarer; Yamaha gab bekannt, dass der Prototyp in den nächsten Monaten eine ausgedehnte Weltreise absolvieren wird, in deren Verlauf man letzte Feinabstimmungen vornehmen will. Technische Merkmale der Offroad-Mittelklassemaschine sind der bekannte 700-Kubik-Zweizylindermotor des Modells MT-07, ein Stahlrahmen, ein vergleichsweise niedriges Gewicht und vier Projektions-Scheinwerfer.

Rasch serienreif gemacht werden könnte wohl die Indian Scout FTR1200 Custom, die der US-Hersteller auf der EICMA aus dem Hut gezaubert hat. Das Einzelstück soll die Erfolge der Marke bei den Flattrack Rennen in den USA dokumentieren. Die FTR1200 Custom, die mit vielen Carbonteilen ausgestattet ist, geht im Lauf des Jahres 2018 auf Welttournee und soll den Ruhm der Marke mehren; ob derweil im Werk eine Weiterentwicklung zur Serienreife erfolgt, wollten Indian-Mitarbeiter nicht bestätigen.

Kaum eine Chance dürfte dagegen die Studie CB4 Interceptor des Zweiradriesen Honda haben, die den Firmenstand auf der EICMA schmückte. Die Studie greift das Designthema ,,Neo Sports Café" auf und schafft eine neue Perspektive auf die extrovertierte Café-Racer-Sichtweise unter Einbeziehung neuer Technik-Ideen. So findet sich an der Front eine Vorrichtung, die aus Fahrtwind Energie gewinnt, welche für den Betrieb des Touchscreens im Cockpit verwendet wird.  

Am dichtesten am Serienzustand angelangt sind zwei 125er Hondas, die auf der EICMA wohl nur noch aus formalen Gründen als ,,Concept" bezeichnet worden sind. Sowohl der Roller Super Cub 125 wie auch die das Leichtkraftrad Monkey 125 erwarten Branchenkenner spätestens Mitte 2018 in den Ausstellungsräumen auch der deutschen Honda-Händler.

Dieser Artikel aus der Kategorie MOTORRAD wurde von Ulf Böhringer/SP-X am 14.11.2017, 14:49 Uhr veröffentlicht.