MOTOR-EXCLUSIVE

Axel F. Busse/ampnet - 31. Juli 2018, 08:17 Uhr MOTORSPORT

Finnland ist das Highlight im Rallye-Kalender

Rallyesport ist nicht nur sehr international, sondern auch voller Eigenheiten.

Rallyesport ist nicht nur sehr international, sondern auch voller Eigenheiten. Finnische Fans jubeln einem estnischen Fahrer in einem japanischen Auto zu, dessen Motor aus Deutschland stammt. Und das wollte er in dieser Saison eigentlich gar nicht fahren.

Bei der Toyota Motorsport GmbH in Köln herrscht Feierlaune. Der Neuzugang im Fahrerteam für die Rallye-Weltmeisterschaft (WRC) hat am Wochenende eine eindrucksvolle Leistung hingelegt. Mit rund einer halben Minute Vorsprung holte sich der 30-jährige Ott Tänak den Gesamtsieg der Rallye Finnland. Nach dem Vorjahreserfolg des einheimischen Esapekka Lappi konnte Toyota so die Spitzenplatzierung seines Teams wiederholen.

Dabei hätte alles ganz anders kommen können: Ott Tänak war im vergangenen Jahr noch bei Ford unter Vertrag, siegte bei der Deutschland-Rallye und in Italien. In der WRC-Endabrechnung fand er sich auf Platz 3 wieder, ebenso wie das Toyota Gazoo Racing Team in der Herstellerwertung. Die vom viermaligen Weltmeister Tommi Mäkinen gesteuerte japanisch-deutsche Rallyemannschaft hätte den talentierten Esten gerne umgehend von Ford weggelockt, aber der zierte sich. Noch im September berichteten die einschlägigen Fachgazetten, Tänak habe abgelehnt.

Offenbar ist es Toyota schließlich doch gelungen, ihm ein Angebot zu unterbreiten, das er nicht ablehnen konnte. Schon zu Beginn dieses WRC-Laufs ließ er keinen Zweifel an seinen Ambitionen auf den Gesamtsieg aufkommen. Der Unterstützung der Einheimischen sowie tausender zugereister Landsleute konnte er dabei sicher sein. Die Strecken rund um die Stadt Jyväskylä liegen nur rund 450 Kilometer von seinem Geburtsort entfernt.

Die Rallye Finnland nimmt im WRC-Kalender einen Sonderstatus ein. Seit 1951 haben nur achtmal Fahrer gewonnen, die nicht aus Skandinavien stammten. Mit überhöhter Geschwindigkeit durch den Wald zu preschen, gilt in Finnland als Volkssport, ist so populär wie Baseball in Amerika oder Eishockey in Russland. Außerdem wird die ehemalige ,,1000-Seen-Rallye" mit ihren schnellen Schotterpisten und atemberaubenden Sprüngen als spektakulärste Wettfahrt der Saison angesehen. Die deutsche Rallye-Legende Walter Röhrl ist ihr stets mit Respekt begegnet.

Der für seinen geschmeidigen und präzisen Stil bekannte Altmeister hat sich zu seiner aktiven Zeit nie durch halsbrecherische Manöver hervor getan. Mit dem Auto 50 Meter durch die Luft zu fliegen, hat er, wo es ging, vermieden. Nach eigenem Bekenntnis mag er ,,nicht auf Harakiri fahren. Da hätt' mir das Auto leid getan". Das damalige Motorsport-Reglement kam ihm entgegen, denn zum Gewinn der Weltmeisterschaft war die Teilnahme an sämtlichen Wertungsläufen nicht erforderlich: ,,Ich habe mir die sechs oder sieben schönsten ausgesucht."

Auch wenn Röhrl nach wie vor seinen Sport interessiert verfolgt (,,Man kommt nie davon los"), haben die Rallyes von heute nur noch wenig gemein mit dem, was ihm den Ehrentitel ,,Rennfahrer des Jahrhunderts" eingetragen hat. Kleinwagen wie Toyota Yaris, Ford Fiesta, Citroën C3 und Hyundai i20 beherrschen die Szenerie, was die Popularität für ein breites Publikum erhöht hat. Nach der Zieleinfahrt steigen viele in das Serienmodell der Boliden, die sie eben noch auf der Piste beobachtet haben und fahren zum Schauplatz der nächsten Wertungsprüfung. Unterwegs begegnen sie dabei, so wie jetzt am Wochenende, ihren Helden, die auf öffentlichen Landstraßen und unter peinlicher Beachtung der allgemeinen Verkehrsvorschriften die Überführungsfahrten zum folgenden Rennen gegen die Stoppuhr selbst vornehmen.

Gewertet werden die Ergebnisse von wenigen hundert Kilometern, während Walter Röhrl und seine Mitbewerber noch mehrere tausend Kilometer bis zur letzten Etappe unterwegs waren. ,,Taktisches Fahren ist nicht mehr drin", sagt er deshalb, ,,heute geht es um Vollgas und Sekundenbruchteile". Das extrem gesteigerte Durchschnitts- und Kurventempo ist seiner Ansicht nach dadurch bedingt, dass die körperliche Belastung von Fahrer und Beifahrer durch verbesserte Fahrwerke, Servolenkung und automatisierte Getriebe abgenommen habe. Gleichzeitig sei aber ,,der Stress viel größer als zu meiner Zeit".

Den spüren auch jene, die nicht festgeschnallt im Überrollkäfig der Zeitnahme entgegen donnern. Wenn der Staub sich gelegt hat und das Wild wieder das Regime in den weitläufigen Mischwäldern Südfinnlands übernommen hat, läuft der Arbeitstag für die Mechaniker im Servicepark nahe dem Stadtzentrum von Jyväskylä dem Höhepunkt zu. Während draußen zwischen den Wertungsprüfungen nur die Piloten selbst Hand anlegen und zum Beispiel abgefahrene Reifen wechseln dürfen, obliegt es den Schraubern, die oft arg ramponierten Fahrzeuge wieder in einen optimalen Zustand zu versetzen.

Dazu haben sie exakt 45 Minuten Zeit, auf einem großen Bildschirm läuft der Countdown. Außerdem werden sie streng von dem Marshals der Rennleitung beäugt, denn längst nicht jedes Teil darf ausgetauscht werden. Viele Bauteile sind versiegelt oder verplombt, damit nur regelkonforme Reparaturen möglich sind. Der glühend heiße Turbolader ist dabei ebenso eine Herausforderung wie ein Getriebewechsel. ,,Das dauert in der Regel keine 15 Minuten", freut sich Falk Schulkowski über die Kunst seiner Mannschaft. Er ist Chef-Ingenieur bei der Toyota-Motorenentwicklung in Köln. Über mangelndes Interesse an der Arbeit des Teams kann er sich nicht beklagen. In der Regel stehen die Motorsportfans zu hunderten an der Servicestation, was letztlich auch die Publikumsnähe des Rallyesports begründet.

Nichts mehr zu machen war für Lokalmatador Esapekka Lappi, der nach einer starken Aufholjagd am Schlusstag seinen Toyota Yaris bei einem Dreher irreparabel beschädigte. An der erneuten Dominanz der Nordländer bei der Rallye Finnland änderte dies indes nichts.

Dem Team Tänak/Jarveoja folgten zwei Norweger und zwei Finnen aufs Podium: Mads Ostberg/Torstein Eriksen (Citroën) und Jari-Matti Latvala/Miikka Anttila (Toyota). Für Walter Röhrl liegen die Gründe auf der Hand: ,,Wer das ganze Jahr auf Schotter, Schnee oder vereisten Fahrbahnen unterwegs ist, hat einfach mehr Gefühl fürs Auto".

Ford, im vergangenen Jahr noch mit auf dem Podium, erreichte als beste Platzierung mit Teemu Suninen und Beifahrer Mikko Markkula den sechsten Rang. Direkt dahinter folgten die Teamkollegen Elfyn Evans und Daniell Barritt, die 2017 noch Zweitplatzierte in Finnland gewesen waren. Die WRC2-Wertung gewann mit Eerik Pietarinen im Skoda überraschend ein Privatfahrer. Der Finne profitierte von einer defkten Vorderradaufhängung des lange Zeit führenden Markenkollegen und Werksfahrer Kalle Rovanperä. (ampnet/afb)

Dieser Artikel aus der Kategorie MOTORSPORT wurde von Axel F. Busse/ampnet am 31.07.2018, 08:17 Uhr veröffentlicht.