MOTOR-EXCLUSIVE

Hanns-Peter von Thyssen-Bornemissza, cen/ampnet - 3. September 2018, 13:24 Uhr OLDTIMER

Historie und Histörchen (43): Was Ro-80-Fahrer mit ihren Fingern anstellten

Jedes Mal, wenn sich auf europäischen Straßen zwei dieser völlig neuen Luxuswagen entgegen kamen, grüßten sich die Fahrer durch Handheben, wie es bisher nur zwischen Motorrad-Fahren üblich war.

Jedes Mal, wenn sich auf europäischen Straßen zwei dieser völlig neuen Luxuswagen entgegen kamen, grüßten sich die Fahrer durch Handheben, wie es bisher nur zwischen Motorrad-Fahren üblich war. Doch es war nicht der Gruß allein. Mit der Zahl der gehobenen Finger heben zeigte man sich gegenseitig, der wievielte Austauschmotor den eigenen NSU Ro 80 antrieb. Das war im Jahre 1968 - vor 50 Jahren - Sitte.

Der NSU Ro 80 war in jener Zeit die Sensation auf dem Auto-Markt. Die schwäbische Fabrik in Neckarsulm hatte sich in den letzten Jahrzehnten vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs zum größten Zweirad-Produzenten der Welt hochgearbeitet. Mit dem Boom zum Kleinwagen hatte NSU auch einen kleinen Heckmotor-Viersitzer im Programm: den NSU Prinz. Durch Zufall war einer der leitenden Mitarbeiter auch mit einem Felix Wankel in Kontakt gekommen, der behauptete, einen völlig neuen Motor erfunden zu haben: den Kreiskolbenmotor.

Während beim konventionellen Otto-Motor in einem stehendem Zylinderblock die Kolben auf- und ab arbeiteten, drehte sich nach Wankels Idee der Block um einen Kolben. Bei NSU griff man die Idee auf. Bald sank aber die Begeisterung; denn der Kreiskolbenmotor war zu wuchtig. Schon 1954 arbeitete der NSU-Konstrukteur Hanns Dieter Paschke den Kreiskolbenmotor zum Drehkolbenmotor um, Hierbei stand der Zylinder fest. In ihm drehte sich eine Welle mit Scheibe, die jeweils mehrere Brennräume bildete. Der Vorteil: während beim Hubkolbenmotor das ständige auf und ab der Kolben Unwuchten erzeugte, wurde der Drehkolbenmotor mit immer höherer Drehzahl immer leiser im Lauf, damit vibrationsärmer.

Bei einem Wankelmotor wurde die Verbrennungsenergie ohne den Umweg einer Hubbewegung und der Kurbelwelle direkt in eine Drehbewegung umgesetzt. Es existieren prinzipiell zwei kinematische Versionen: Der Drehkolben-Wankelmotor und der Kreiskolben-Wankelmotor. Wirtschaftliche Bedeutung konnte nur der von Hanns-Dieter Paschke konzipierte Kreiskolben-Wankelmotor erlangen, der allgemein als Wankelmotor bezeichnet wird.

Beim KKM 57P übernahm der bogig-dreieckige Rotationskolben, als Läufer bezeichnet, gleichzeitig die Funktionen der Kraftabgabe und der Steuerung der Gaswechselvorgänge. Der Kreiskolben-Wankelmotor hatte eine Exzenterwelle und damit eine geringe Unwucht, die durch Ausgleichsgewichte völlig ausgeglichen werden konnte. Der Drehkolben-Wankelmotor DKM 54 hatte keine Exzenterwelle. Hier drehten sich der Läufer unwuchtfrei um ihre eigenen Schwerpunkte. Die Achsen waren somit exzentrisch zueinander gelagert. Beim DKM 54 war der Außenläufer das kraftabgebende Element, der Innenläufer diente nur als Absperrteil zur Steuerung des Gaswechsels.

Im März 1960 war der erste Erprobungswagen mit einem Wankel-Drehkolbenmotor fertig. Ein Prinz III, der am Hinterteil in Handarbeit zusätzliche Lüftungsschlitze erhielt. Im Heck arbeitete ein Einkammer-Wankelmotor mit 250 ccm und 40 PS bei 11 000 Umdrehungen pro Minute (U/min). Das Versuchsfahrzeug besaß einen DrehzahImesser und einen Öltemperaturanzeiger. Der Wagen mit dem neuartigen Motor ging nicht in Serie.

Erfinder Felix Wankel hatte sich zusichern lassen, dass der neue Motor Wankel-Motor heißen sollte. Die Versuche damit liefen nun auf Hochtouren. Der deutsche Automobilhersteller NSU in Neckarsulm stellte am 24. November 1959 den Rotationskolbenmotor vor.

1964 sorgte dieses Prinzip für den Antrieb des NSU Spider. Am 10. September 1964 begann dessen Serienfertigung. Der Wankel-Spider war im Grunde eine Spider-Version des von Nuccio Bertone gezeichneten Sport-Prinz. Das zweisitzige Cabriolet war schon 1961 gezeigt worden, jedoch nicht in Serie gegangen. Für den Einbau des 499 ccm-Einscheibenmotors, der 50 PS leistete, wurde die Karosserie an Bug und Heck leicht verändert. Spitze 155 km/h. Das Chassis wurde weitgehend vom Sport-Prinz übernommen, jedoch mit Scheibenbremsen an den Vorderrädern ausgerüstet. Der flach bauende Wankel-Motor wurde ins Heck hinter der Hinterachse, das Vier-Gang-Getriebe vor der Hinterachse eingebaut. Die Produktion endete am 28. Juli1967 nach nur 2374 Exemplaren.

Nun wollten die Schwaben einen großen Luxuswagen mit dem neuartigen Motor am Markt anbieten. Die ersten Arbeiten begannen 1965. NSU-Chefkonstrukteur Ewald Praxl zeichnete eigenhändig die sehr windschnittige Limousine, die mit guter Aerodynamik den systembedingt hohen Durst des Wankelmotors dämpfen sollte. Praxl entwarf eine rundliche Linie mit ansteigendem Heck.

Um Straßenerprobungen unerkannt durchzuführen, baute man einen Prototyp des künftigen Ro 80, der allerdings in der Form stark verändert wurde. Am Bug trug der Wagen runde statt rechteckige Scheinwerfer, über denen Blinklichter thronten und die den Eindruck von eigenständigen Vorderkotflügeln vermittelten. Am Heck versah man den Prototypen mit den gerade aus der Mode kommenden Heckflossen sowie einer tiefer gesetzten Heckstoßstange. Unter der Bughaube arbeitete der Zweikammer-Drehkolbenmotor mit einem Liter Hubraum und 115 PS Leistung. Peinlicher wurde es, als der Prototyp 1966 bei streng geheimen Probefahrten verunglückte. Er fuhr auf einen Lloyd LP 60-Kleinwagen auf und wurde stark zerstört. Dadurch kamen die Zukunftspläne der Neckarsulmer vorzeitig an die Öffentlichkeit.

Sein Debüt feierte der NSU Ro 80 (Ro für Rotationskolben) zur Frankfurter Automobil-Ausstellung im September 1967. Seine Serienfertigung begann im Oktober 1967. (Maße 4,78 x 1,76 x 1,41 m, Radstand 23,86 m, Leergewicht 1280 kg,Tankinhalt 83 Liter). Es war eine viersitzige, viertürige Stufenheck-Limousine mit der später oft kopierten nach hinten ansteigenden Linie. Im Gegensatz zur Konkurrenz besaß der große NSU-Wagen eine rundliche Front mit in den Grill einbezogenen Rechteck-Scheinwerfern, eine dreidimensional gewölbte Frontscheibe und ein aufwendiges Fahrwerk.

Unter der Bughaube arbeitete ein wassergekühlter Zweikammer-Kreiskolbenmotor, System Wankel, mit je 499,5 ccm Hubraum, der es auf eine Leistung von 115 PS brachte. Die Kraft wurde über ein halbautomatisches Vier-Gang-Getriebe übertragen. Beim Berühren des Mittelschalthebels löste sich die Kupplung und gab den Weg zum manuellen Gangwechsel frei. Die Kraft wurde auf die Vorderräder übertragen. Die Höchstgeschwindigkeit des Wagens lag bei 180 km/h. Im August 1967 begann die Serienfertigung. Sie endete im Juli 1977 nach 37 406 Exemplaren, denn die Benzinkrise führte dazu, dass besonders durstige Autos von den Käufern verschmäht wurden.

Einen Tourenwagen mit Mittelmotor zu bauen, bei dem auch Fondpassagiere genug Beinfreiheit hatten, dies war die Aufgabe, die sich der italienische Star-Designer Pininfarina gestellt hatte. Er entwarf mit der Mechanik des deutschen NSU Ro 80 einen solchen, viertürigen Wagen "Trapeze" mit lang auslaufendem Heck, mit breiter C-Dachsäule, verdeckten Hinterrädern und steil stehender Heckscheibe. Geplant war der Trapeze als Nachfolger für den Ro 80. Die Frontsessel standen dabei dicht zusammen, die Hintersitze weiter auseinander. So konnten die Fondpassagiere ihre Beine weit neben den Frontsitzen ausstrecken. (Radstand 2,43 m. Maße: 4,080 x 1,83 x 1,10 m. Zwischen den Hintersitzen lag der Wankel-Motor noch vor der Hinterachse, ein Zweischeiben-Wankelmotor mit einem Liter Hubraum und 115 PS.

Sein Debüt feierte der NSU Trapeze im März 1971 zum Genfer Automobilsalon. Er wurde in 1480 Exemplaren gebaut. Das ganze Wankel-Abenteuer belastete die Kasse der kleinen Auto-Schmiede zu stark. Zwar verkauften die Schwaben Lizenzen an dem Wankel-Motor in alle Welt. Wohlhabend wurde NSU damit aber nicht. Den Schwaben blieb zum Überleben nichts anderes übrig, als sich von Volkswagen aufkaufen zu lassen und als Tochter mit der Auto Union zur Audi-NSU verschmolzen zu werden.

Felix Wankel brachte es zu Reichtum, Er gründete etliche Stiftungen.Vom Wankel-Motor ist heute - 50 Jahre danach - fast nichts geblieben. Felix Wankel starb am 9. Okober 1968 in Heidelberg. (ampnet/hptb)

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