MOTOR-EXCLUSIVE

Klaus Brieter - 26. November 2018, 12:35 Uhr AUTOMOBIL

Range Rover Evoque: Puristisch in die nächste Runde

Mit der Erneuerung des Evoque geht Range Rover kein Risiko ein. Die Kunden haben bei der ersten Generation, die 2011 startete, bereits 770.00mal zugegriffen. Die zweite Generation des Evoque aalt sich jetzt im Applaus der Londoner Premierengäste.


Irgendwo im Ostteil der britischen Hauptstadt. London East, ein Viertel mit engen Straßen, in dem alte verfallende Fabriken im Backsteinstil mit reichlich Graffitis dran den Kontrast zu gesichtslosen Hochhäusern bilden. Mitten drin die Truman's Brewery, in der schon seit 20 Jahren kein Bier mehr abgefüllt wird. An diesem Abend jedoch der Magnet für ein illustres Publikum, reichlich durchsetzt von dynamischen Jetsettern und Starlets, die sich auf dem roten Teppich vor der Fotowand für die Pressefotografen in Szene werfen.

Nach dem dritten Champagnerglas hebt ein Beben an, das nicht nur die alte Brauerei erzittern lässt sondern auch die Bewohner der umliegenden Häuser angstvoll auf die Balkone treibt. Und dann passiert es: Begleitet von ohrenbetäubenden Fanfarenstößen und Trommelwirbeln sowie grell gefärbten Lichtblitzen aus überdimensionalen Scheinwerferkanonen rollt der Star des Abends vor das erlauchte Publikum: Die zweite Generation des Range Rover Evoque aalt sich im Applaus der Premierengäste - allesamt potenzielle Kunden.

Was bei der Präsentation die Seismografen im "British Geological Survey" zu London ausschlagen lässt, ist jedoch kein Auto, das sich optisch im Vergleich zum Vorgängermodell erdbebenartig abhebt. Kein "Das habe ich noch nie gesehen!" Einfach ein weiterentwickeltes Design mit hohem Wiedererkennungswert. Unterm Blech ist dagegen nahezu alles neu. Das merkt man schon beim Öffnen der Türen: "Oh Schreck, wo sind die Tasten und Schalter geblieben?" Das Bedienkonzept wurde vom größeren und teureren Bruder Range Rover Velar übernommen. Erst wenn die Zündung eingeschaltet ist, bieten die zum Leben erwachenden Bildschirme mit ihren virtuellen Knöpfen zahlreiche Funktionen an. Puristischer kann man ein Armaturenbrett nicht gestalten: keine Schnörkel, keine Wellenlinie, keine Unterbrechung der von links nach rechts durchlaufenden Linie. Da stören schon fast die beiden etwas größeren Drehteller für die Klima-Anlage.

Ohne das kompakte Premium-SUV auf Zahlen reduzieren zu wollen - denn der Evoque appelliert mehr an Emotionen - lässt sich der gestiegene Nutzwert für den Kunden daran besser ableiten: 20 mm mehr Knieraum im Fond, ein um 10 Prozent größerer Kofferraum und ein um 20 Prozent gewachsener Kofferraum. Eine Heckkamera am Dach liefert eine Sicht nach hinten, die auf Knopfdruck den konventionellen Rückspiegel, der durch den Sehschlitz der Heckklappe peilen muss, in die zweite Reihe verbannt. Wer will, bekommt auch eine Frontkamera mitgeliefert, die dann begeistert, wenn ein Geländeeinsatz ansteht, bei dem der Verlauf des weiteren Weges nur geahnt werden kann, zum Beispiel beim Ein- und Auftauchen in und aus Senken. Auch wenn die meisten Kunden dankend darauf verzichten, mit dem Evoque schweres Geläuf abseits der Straße aufzusuchen, so ist er doch ein echter Range Rover, der so etwas einfach können muss.

Um den Motorjournalisten, die den Erstkontakt in London ebenfalls erleben dürfen, den Beweis zu liefern, was der Evoque an fahrerischer Akrobatik drauf hat, dürfen sie vor dem Premierenzirkus und von der Öffentlichkeit streng abgeschirmt das Auto in den tunnelartigen Katakomben eines alten entbeinten Gebäudes über einen liebevoll inszenierten Geländeparcours zirkeln. Mit weniger als Schrittgeschwindigkeit fahren wir auf Eisenbahnschienen, überqueren Hügelspitzen, durchwaten ein Wasserbecken und tasten uns über eine Schrägwand - nahe an der Kippgrenze.

Wie sich der Evoque auf der Straße anfühlt, wird erst die "echte" Fahrpräsentation im kommenden Jahr zeigen, kurz bevor der Neuling im April mit drei Diesel- und drei Benzinmotoren sowie einem Hybridantrieb in die Schaufenster der Händler rollt. Die Preisliste soll für die Basisversion mit Frontantrieb (alle anderen Modelle werden dann mit Allradantrieb unterwegs sein) bei 37.350 Euro beginnen.

Mit der Erneuerung des Evoque geht Range Rover kein Risiko ein. Die Kunden haben bei der ersten Generation, die 2011 startete, bereits 770.00mal zugegriffen. Damals stand noch die bange Frage im Raum, ob das freche Design der eher konservativen Marke dauerhaft auf Interesse stößt und nicht nur ein modisches Strohfeuer auslöst. Lediglich der unpraktische Dreitürer mit der eingeschränkten Kopffreiheit im Fond konnte nur in Apothekermenge im niedrigen einstelligen Prozentbereich verkauft werden. Ein mahnendes Beispiel, dass die Auguren im Marketing beim Einschätzen von Verkaufschancen auch mal kräftig danebenhauen. Insofern denkt momentan niemand ernsthaft über eine Fortsetzung dieser Variante nach. Trauriger Nebeneffekt: Das originelle vom Dreitürer abgeleitete Cabrio ist damit leider ebenfalls gestorben. Die Verkäufer werden es verschmerzen, denn der Fünftürer wird die Kasse vermutlich noch heftiger klingeln lassen als bisher. Das Erdbeben von London wird seine Kreise ziehen.

Dieser Artikel aus der Kategorie AUTOMOBIL wurde von Klaus Brieter am 26.11.2018, 12:35 Uhr veröffentlicht.