MOTOR-EXCLUSIVE

Klaus Brieter - 18. Januar 2021, 14:12 Uhr NEWS

Blume mit Grip: Wie Continental am Reifen der Zukunft arbeitet

Löwenzahn als Rohstoff-Lieferant für Pneus aller Art - beim deutschen Reifenkonzern Continental hat diese Vision bereits Gestalt angenommen.


Woran denken Sie, wenn Sie eine sommerliche Wiese sehen, die üppig mit Löwenzahn garniert ist? Bestimmt nicht an Fahrzeugreifen. Eine absurde Frage? Nein, denn beim Reifenhersteller Continental ist diese blumige Vision längst Realität. Der Umbruch in der Mobilität erfasst eben nicht nur die Antriebe unserer Fahrzeuge.

Und was dient als Brücke von der "Pusteblume" zum Reifen? Der Rohstoff. Dazu muss man den Hintergrund kennen: Um Gummireifen produzieren zu können, braucht es Naturkautschuk. Da die Kautschuk-Bäume, aus denen der Latexsaft "gemolken" wird, jedoch nur in einem relativ schmalen tropischen Band von plus-minus 30 Breitengraden um den Äquator wachsen, sind sie nicht in beliebiger Menge verfügbar. Zudem schwankt der Preis von Naturkautschuk an den internationalen Börsen mit starken Ausschlägen.

Damit ist einer der Auslöser identifiziert, warum Continental verschärft über eine Alternative nachdenkt, um an den begehrten Rohstoff zu kommen. 2014 tritt der Hersteller mit seiner Idee erstmals an die Öffentlichkeit und stellt sein Projekt "Taraxagum" und erste Prototypen von Automobil-Reifen für den Testbetrieb vor. Der eingetragene Markenname lehnt sich sehr stark an die lateinische Bezeichnung Taraxacum für den Löwenzahn - auch Butter- oder Kuhblume genannt - an.

Für den Reifenfabrikanten mit mehr als 100-jähriger Tradition liegt das Geheimnis des Löwenzahns in der Wurzel der Pflanze: Sie enthält ebenfalls den kostbaren Latexsaft. Allerdings ist der Löwenzahn in seinem Anspruch an die klimatischen Bedingungen nicht so sensibel, wie der Kautschukbaum. Zusammen mit dem Fraunhofer Institut für Molekularbiologie und Ökologie (IME), dem Julius Kühn-Institut und dem Pflanzenzüchter Aeskulap geht es dann in die nächste Phase.

In diesem zeitlichen Abschnitt sollte ausgelotet werden, wie der anspruchslose und besonders ergiebige russische Löwenzahn gezüchtet, angebaut und industriell geerntet werden kann. Bereits im November 2017 wird der erste Spatenstich eines Versuchslabors in Anklam in Mecklenburg-Vorpommern getan. Nur ein Jahr später nimmt die Forschungsstätte dann ihre Arbeit auf. Geschickt nutzt Continental schließlich die "Tour de France" 2019, um auf den Start der Serienproduktion von Fahrradreifen mit dem Namen "Urban Taraxagum" im hessischen Korbach hinzuweisen.

Unabhängig von der künftig breiter aufgestellten Verfügbarkeit unterstützt der aus Löwenzahn gewonnene Naturkautschuk zusätzlich die Sicht auf Nachhaltigkeit. Da die Wege vom Rohstoff zur Reifenproduktion deutlich kürzer werden, verringert sich auch der CO2-Ausstoß, der das Klima entscheidend beeinflusst. Insofern ist der Löwenzahn-Reifen ebenfalls unter diesem Aspekt eine Investition in Zukunft.

Klar, dass es Continental nicht bei der Produktion von Fahrradreifen bewenden lassen will. Von Anfang an peilt der Konzern die Serienfertigung von Motorrad-, Pkw- und Lkw-Reifen aus dem Löwenzahn-Rohstoff an. Bereits seit Jahren sind Testwagen mit Taraxagum-Prototypen in den unterschiedlichsten Klimazonen unterwegs, beispielsweise im winterlichen Arvidsjaur (Nordschweden) oder in der texanischen Wüste bei Uvalde.

Und wann ist im automobilen Bereich damit zu rechnen, dass die ersten Taraxagum-Reifen auftauchen? Conti-Pressesprecher Klaus Engelhart kann zwar keine Hoffnung auf einen kurzfristigen Start machen, wird in seiner Antwort dennoch ziemlich konkret: "Continental hat sich zum Ziel gesetzt, in sieben bis acht Jahren Taraxagum-Autoreifen zu liefern."

Dass die Reifen künftig in sattem Löwenzahn-Gelb produziert werden, ist nicht zu erwarten. Dagegen könnte das Design durchaus Aufmerksamkeit erzeugen. Schließlich hat bereits der "Urban-Taraxagum"-Fahrradreifen 2020 den begehrten Red-Dot-Design-Award gewonnen - zusätzlich zum Deutschen Nachhaltigkeitspreis (Kategorie: Verantwortungsvolles Design). Ein Gestaltungs-Kriterium wird sich mit dem Pusteblumen-Reifen keinesfalls verändern: Der Pneu bleibt eine runde Sache.

Klaus Brieter / mid

Dieser Artikel aus der Kategorie NEWS wurde von Klaus Brieter am 18.01.2021, 14:12 Uhr veröffentlicht.