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9Panorama: MAN TGE mit Raupenantrieb - Gipfelstürmer
Statt mit Reifen fährt dieser MAN TGE auf Raupen Foto: MAN
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Benjamin Bessinger/SP-X - 5. März 2021, 13:48 Uhr NEWS

Panorama: MAN TGE mit Raupenantrieb - Gipfelstürmer

Bislang brauchten Wintersportler und Bergbauern in den Tiroler Alpen entweder reichlich Puste oder einen Pistenbully. Denn zumindest die Ziele fernab der Lifte sind im Schnee oft nur zu Fuß oder auf Ketten zu erreichen. Aber wer sagt denn, dass man die nicht auch an einen konventionellen Transporter schrauben kann?

Eigentlich sollte hier jetzt die Hölle los sein. Denn es liegt frischer Pulverschnee im Zillertal, am stahlblauen Himmel hängt keine Wolke und auch die pralle Sonne ändert nichts an den eisigen Temperaturen - einen schöneren Tag auf der Piste kann es kaum geben. Doch Corona sei Dank, herrscht eine gespenstische Ruhe auf den Hängen rund um Hochfügen. Was den Tourismusmanagern und Wintersportlern ein Graus, ist für Fabian Bonora ein Segen. Denn er gehört zum Team der MAN-Niederlassung in Innsbruck und ist dankbar für die leeren Pisten. Dabei will er gar nicht den Berg hinunterjagen. Bonora hat die Gegenrichtung im Sinn. Und der Marketing-Mann setzt dabei nicht auf Muskelkraft, sondern auf einen MAN TGE, den er mit seiner Mannschaft in den letzten drei Monaten zum Gipfelstürmer umgebaut hat: Statt auf Winterrädern steht er jetzt auf Ketten und kennt deshalb auch im tiefen Schnee kein Halten mehr.

Was auf den ersten Blick ein wenig an die einstigen Außenwetten von Thomas Gottschalks ,,Wetten Dass???" erinnert, hat bei allem Spaß einen ernsten Hintergund. Selbst wenn die Idee aus einer Bierlaune heraus geboren wurde. Denn irgendwann ist Bonora und seinen Kollegen aufgefallen, dass den Tiroler Hüttenwirten und Bergbauern das richtige Winterfahrzeug fehlt. Wer auch in der weißen Jahreszeit hoch hinaus will, der muss entweder laufen, oder er braucht einen Pistenbully, ein so genanntes ATV oder einen Skidoo. Doch Laufen ist anstrengend, ein Pistenbully ist teuer und bei Skidoo oder All Terrain Vehicle sind die Transportkapazitäten arg eingeschränkt, fasst Bonora die Nachteile zusammen. Den TGE gibt es dagegen als Kleinbus oder als Kastenwagen und sogar mit Pritsche - und egal, ob man nun Rodel- oder Jausengäste auf den Berg bringen will, Vorräte oder Baumaterial, findet sich im MAN-Programm dafür der richtige Aufbau.

Nur am Unterbau hat es bislang gemangelt. Aus Kanada und Nordamerika kennt man zwar Pick-Ups, die auf Ketten durch Eis und Schnee pflügen, und YouTube ist voll von abenteuerlichen Videos mit derartigen Expeditionen. Doch in Europa sind derartige Umbauten weitgehend unbekannt. Bis Bonora irgendwann über einen Umrüstsatz mit Raupen statt Reifen aus Rumnänien gestolpert ist und sich überlegt hat, ob und wie der ans Auto zu bekommen sei. Das ging einfacher als gedacht, erinnert sich der Tiroler. Denn als Baukastenlösung absolut standardisiert, braucht es nicht viel mehr als eine Höherlegung für den nötigen Freilauf und eine Adapterplatte für die richtige Befestigung, schon wird aus einem gewöhnlichen Transporter ein Gipfelstürmer, der sich auch vom dicksten Winter nicht aufhalten lässt.

Zwar kostet die Umrüstung rund 30.000 Euro. Doch gemessen an einem mindestens zehnmal so teuren Pistenbully ist das ein echtes Schnäppchen, wirbt Bonara. Und ein vernünftiges All Terrain Vehicle etwa von Polaris ist auch nicht viel billiger. Kein Wunder also, dass sie bei MAN in Innsbruck bereits rege Nachfrage registrieren und für den nächsten Winter mit den ersten Aufträgen rechnen.

Für den Fahrer fühlt sich der TGE auf Ketten an wie jeder andere auch - wenn man sich erst einmal auf den Hochsitz hinter dem Lenkrad gehangelt hat. Denn der Zustieg erfordert bei nun bald einem halben Meter Bodenfreiheit durchaus ein wenig sportliches Geschick. Doch danach ist alles wie immer: Die Kraft des 177 PS-Diesels wird wie gewohnt über die Automatik und ein Verteilergetriebe an alle vier Räder übertragen und auch die Bremsen funktionieren unverändert. Lediglich der Wendekreis wird ein bisschen größer und das ESP schaltet der Fahrer besser aus. Und dass man lieber nicht schneller als 50 fährt, versteht sich hier in den Bergen von selbst. Drunten im Tal und auf Asphalt sind vom Zulieferer sogar 80 km/h erlaubt, wenngleich die MAN-Macher dringend von solchen Geschwindigkeiten abraten.

Hier oben am Berg dagegen kennt der Kleinbus hier kein Halten mehr: Wo auch der Pick-up der Pistenwacht stehen bleibt und jeder Geländewagen einsinken würde, walzt der TGE den 30 Zentimeter breiten Gummibändern sei Dank munter über den Schneewall und danach die Abfahrt hinauf, als wäre sie eine Autobahn. Und weil die Jungs aus der Niederlassung beweisen wollen, was ihr Klettermaxe so alles draufhat, biegt der Transporter nach ein paar hundert Metern ab in den Tiefschnee, quert die Buckelpiste und lässt sich auch von einem breiten Bachlauf nicht stoppen. Wo andere mühsam zur Jausenstation laufen müssen, fahren sie bis direkt an die Sonnenterasse - dumm nur, dass es dort derzeit keinen Service gibt.

Während die Pistenbullys sich schon so langsam auf die Schneeschmelze vorbereiten und damit auf einen langen und vor allem teuren Sommer des Stillstands in irgendeiner großen Halle, hat die MAN-Mannschaft beim Blick auf Kalender und Temperaturen keine Bange. Denn wenn das Frühjahr beginnt, kann ihr Raupentransporter noch eine weitere Stärke ausspielen: Es dauert nicht viel länger als ein normaler Reifenwechsel, dann sind die Ketten wieder gegen die Räder getauscht und der TGE fährt auf Gummi zum Gipfel. Schließlich wollen die Wanderer auch im Sommer gebührend verpflegt werden.

Dieser Artikel aus der Kategorie NEWS wurde von Benjamin Bessinger/SP-X am 05.03.2021, 13:48 Uhr veröffentlicht.