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8Audi RS e-tron GT - zwischen Begeisterung und Realität
mid Groß-Gerau - Mit dem Audi RS e-tron GT liefern die Ingolstädter ihr bislang stärkstes Exemplar der e-tron-Baureihe. Er leistet 440 kW/598 PS, bei Nutzung der Boost-Funktion sogar kurzfristig 475 kW/646 PS. Mike Neumann / mid
AUTOMOBIL
Christoph Reifenrath - 11. Juni 2021, 09:19 Uhr AUTOMOBIL

Audi RS e-tron GT - zwischen Begeisterung und Realität

Mit dem Audi RS e-tron GT liefern die Ingolstädter ihr bislang stärkstes Exemplar der e-tron-Baureihe. Der auf der J1-Plattform des Porsche Taycan aufbauende, als klassischer GT gezeichnete Viertürer leistet 440 kW/598 PS, bei Nutzung der Boost-Funktion sogar kurzfristig 475 kW/646 PS. Das maximale Drehmoment liegt bei schwindelerregenden 830 Nm. Der Motor-Informations-Dienst (mid) ist den betörend schönen Menschen-Beschleuniger gefahren.


Mit dem Audi RS e-tron GT liefern die Ingolstädter ihr bislang stärkstes Exemplar der e-tron-Baureihe. Der auf der J1-Plattform des Porsche Taycan aufbauende, als klassischer GT gezeichnete Viertürer leistet 440 kW/598 PS, bei Nutzung der Boost-Funktion sogar kurzfristig 475 kW/646 PS. Das maximale Drehmoment liegt bei schwindelerregenden 830 Nm. Der Motor-Informations-Dienst (mid) ist den betörend schönen Menschen-Beschleuniger gefahren.

Die zu beantwortenden Fragen: Was kann der GT, was kann er nicht und reicht das, um Tesla Paroli zu bieten?

Es ist ein permanenter Taumel zwischen Begeisterung und Realität. Der RS e-tron GT ist aus der - selbstverständlich subjektiven - Sicht des Autors der formal gelungenste Audi seit Jahren. Jede Linie, jeder Schattenwurf strahlt gleichermaßen Kraft und Eleganz aus, er ist ein Geniestreich des Teams um Chefdesigner Marc Lichte.

Schwer in Worte zu fassen ist auch die Art wie der immerhin 2.420 Kilogramm schwere Ingolstädter, allein das 93 kW-Batteriepaket bringt schließlich 630 Kilogramm auf die Waage, seine optische Schnelligkeit ins reale Erleben auf der Straße überträgt. So muss es sich anfühlen, von einem Katapult abgeschossen zu werden. Die Beschleunigung (0 - 100 km/h in 3,3 Sekunden) ist - nahezu unabhängig von der gefahrenen Geschwindigkeit oder von den Traktionsverhältnissen - derart brachial, so ansatzlos, lautlos und fortwährend, dass einem schlicht der Atem stockt.

Zur Einordnung ein hauseigener Vergleich: Der benzinbetriebene Audi RS7 Sportback mit ebenfalls 600 PS ist chancenlos, er benötigt für den Standardsprint 3,6 Sekunden. Das mit 1.670 Kilogramm deutlich leichtere und 220.000 Euro teure, ebenfalls Super Plus verfeuernde R8 Coupe V10 performance mit 620 PS ist nur 0,2 Sekunden schneller.

Die Gegenüberstellung zeigt: Die Tage stimmgewaltiger Hochleistungs-Verbrenner sind vermutlich über kurz oder lang gezählt. Noch können sie mithalten, doch der RS e-tron GT macht schon heute vieles besser. Er ist leiser, erledigt das, was früher einmal als Elastizität bezeichnet wurde, bei Elektromotoren aber bedeutungslos ist, weil die nahezu über ihr gesamtes Drehzahlband brutalen Schub liefern, noch souveräner und müheloser. Und sein Elektroantrieb ist so signifikant effizienter, dass die immer weiter verschärften CO2-Flottenziele eigentlich gar keine Wahl lassen.

Erinnern wir uns, 84 kWh nutzbare Batteriekapazität im RS e-tron GT entsprechen umgerechnet etwa 9,5 Liter Superbenzin (ein Liter = 8,8 kWh). Damit käme der bereits erwähnte R8 unter WLTP-Bedingungen gerade einmal 75 Kilometer weit - der e-tron soll unter gleichen Voraussetzungen bis zu 472 Kilometer schaffen - sprich er geht mit der Energie sechsmal so effizient um wie der Benziner. Klar, die Batterieproduktion lastet dem RS e-tron GT einen nicht unerheblichen CO2-Rucksack auf, bei jedem (in der Praxis kaum vorkommenden) 0 - 100 Prozent-Ladevorgang verpuffen etwa zehn kWh durch Ladeverluste und unter realen Bedingungen sind eher 300 bis 350 Kilometer Reichweite drin. Doch mit jedem gefahrenen Kilometer verschiebt sich die CO2-Bilanz unaufhaltsam ins Positive.

Dafür haben die Audi-Techniker vor allem beim für die Effizienz von E-Fahrzeugen alles entscheidenden Luftwiderstand viel getan. Der Ingolstädter erreicht einen Luftwiderstandsbeiwert von 0,24 und damit bei einer Stirnfläche von 2,35 Quadratmetern einen Luftwiderstandsindex von guten 0,56. Der im Vergleich dazu winzige Golf I von 1975 lag noch bei Wandschrank-gleichen 0,74. Greifbarer formuliert bedeutet das: Bei konstant 100 km/h benötigt er trotz breiter Schultern samt üppiger Bereifung nur rund zehn kW zur Überwindung des Luftwiderstandes, bei konsequenter Nutzung des prädiktiven Tempomaten sind auf der Landstraße so Verbrauchswerte um die 15 kWh (umgerechnet 1,7 Liter Superbenzin) drin.

Bei allem Lob, die Gesetze der Physik und den gegenwärtigen Stand der Batterietechnik kann der RS e-tron GT dennoch nicht außer Kraft setzen. Wird er auf freier Autobahn so ungestüm bewegt, wie er zuließe, schrumpft die Reichweite rapide - dann kann schon mal nach 150 Kilometern Schluss sein. Natürlich brauchen Verbrenner unter diesen Bedingungen ebenfalls sehr viel, im Verhältnis sogar noch sehr viel mehr Kraftstoff beziehungsweise Energie, sie sind aber eben immer innerhalb weniger Minuten wieder einsatzbereit.

Das aber trifft für den RS e-tron GT - trotz bis zu 270 kW Ladeleistung - eben nicht immer zu. Von den rund 22.000 öffentlichen Ladepunkten in Deutschland schaffen derzeit nur rund 600 über 270 kW, hier ließe sich in fünf Minuten Energie für 100 Kilometer nachtanken. Die Praxis sieht aber oft anders aus. "Ladepausen" von einer Stunde sind eher die Regel als die Ausnahme, vorausgesetzt, die angelaufene Ladestation ist nicht gerade besetzt, zugeparkt oder einfach defekt. Hier rächt sich - trotz e-tron Charging Service mit günstigen 31 Cent pro kWh im Transittarif (ein Jahr frei, dann im Abo zusätzlich 17,95 Euro pro Monat) - dass es die deutschen Hersteller bislang versäumt haben, ein eigenes Ladenetz aufzubauen.

Wer wirklich Strecke machen will, muss den RS e-tron GT also stets weit unterhalb seiner Möglichkeiten bewegen, seine Trips sorgfältig planen. Die Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit ab Werk auf 250 km/h ist da weniger ein Zeichen der Vernunft als vielmehr schlichte Notwendigkeit und im Interesse praxisgerechter Reichweiten eigentlich noch deutlich zu hoch angesetzt.

Kommen wir zur Beantwortung der letzten Frage: Ist der RS e-tron GT der vielzitierte "Tesla-Beater"? In vieler Hinsicht ja. Der Ingolstädter fährt trotz 21-Zoll-Niederquerschnittsreifen deutlich geschmeidiger, er ist um Klassen besser verarbeitet, seine Bedienung gibt keine Rätsel auf, Fahrverhalten und Traktion sind über jeden Zweifel erhaben.

Angesichts des nunmehr für das erste Quartal 2022 angekündigten Tesla Model S Plaid mit nominell 1.020 PS und einer Beschleunigungszeit von 2,1 Sekunden muss die Frage aber ohnehin wohl eher lauten: Macht es überhaupt noch Sinn, die gestrige Tesla-Leistungsfixierung überbieten zu wollen? Wer die Fahrleistungen des RS e-tron GT wirklich ausnutzt, verletzt schließlich schon heute eigentlich überall auf der Welt sämtliche Regeln.
Wäre es also nicht ehrlicher und zukunftsweisender, den RS e-tron GT schlicht als das zu beschreiben, was er bei aller Begeisterung ist? Ein komfortabler, äußerst fahrsicherer, extrem leiser und bei sinnvoller Nutzung auch sehr sparsamer und zeitgemäßer Reisewagen mit viel Stil und Charakter.

Christoph Reifenrath / mid

Technische Daten Audi RS e-tron GT:

Länge / Breite / Höhe: 4,89 / 1,96 / 1,41 Meter
Radstand: 2,90 Meter
Leergewicht / Zul.-Gesamtgewicht: 2.420/2.860 Kilogramm
Batterie: 93,4 kWh (brutto), 83,7 kWh (netto), 396 Pouch-Zellen in 33 Modulen, neun im Unterboden, drei unter den Rücksitzen, Batteriegewicht: zirka 630 Kilogramm Systemspannung: 800 Volt
Ladeleistung: DC (rechte CCS-Ladebuchse): max. 270 kW
AC-Heimladung (linke Typ 2-Ladebuchse): max. 11 kW, später 22 kW
Zwei PSM-Motoren, vorn 175 kW/298 PS, hinten 335 kW/456 kW, Bremsrekuperation bis 265 kW
Gesamtleistung: 400 kW/598 PS, Boost kurzfristig bis 475 kW/646 PS
Dauerleistung: 142 kW, max. Drehmoment: 830 Nm.
Permanenter Allradantrieb, elektronische Hinterachssperre
Reichweite (WLTP): 433 - 472 km
Verbrauch (WLTP): 20,6 - 22,5 KWh/100 km
Fahrleistungen:
0-100 km/h: 3,3 s
0-200 km/h: 10,9 s
V-Max: 250 km/h (begrenzt)
Grundpreis 128.200 Euro, Testwagenpreis: 177.444 Euro

Dieser Artikel aus der Kategorie AUTOMOBIL wurde von Christoph Reifenrath am 11.06.2021, 09:19 Uhr veröffentlicht.