MOTOR-EXCLUSIVE

Hanns-Peter von Thyssen-Bornemisza/ampnet - 9. Januar 2019, 11:33 Uhr OLDTIMER

Historie und Histörchen (55): Besser als Benz und Daimler

Am 21.

Am 21. Januar 1899 wurde der Vertrag unterschrieben, der seither offiziell als Gründungstag der Automobilproduktion bei Opel gilt. Die beiden Brüder Adam und Georg Opel hatten von Fritz Lutzmann Patenten und Anlagen für eine Automobilproduktion gekauft. In einer Ecke des Rüsselsheimer Fahrrad-Werk von Opel entstanden die ersten Motorfahrzeuge. In lockerer Folge greifen wir Episoden aus der Unternehmensgeschichte heraus. Heute: Fritz Lutzmann.

Fritz Lutzmann hatte eine Lehre als Bauschlosser und Werkzeugmacher beendet. In Dessau richtete er eine Bauschlosserei ein. Schon 1893 stellte er dort einen Motorwagen nach Benz-Vorbild auf die Räder. Vermutlich im Mai 1894 - und damit gut ein Jahr nach Lutzmanns erster Begegnung mit einem Benz-Motorwagen - verließ das erste eigene und straßentaugliche Fahrzeug die Fabrikhalle. Abgesehen von der zeitüblichen allgemeinen Kutschenform und der - ebenfalls (noch) üblichen - Kraftübertragung über Riemengetriebe und Ketten unterschieden sich der Benz und der Lutzmann technisch. So verfügte der Lutzmann nicht nur über eine Lenkung nach einer eigene Erfindung (Patent Nr. 79039) und eine an das Fahrrad angelehnte Vorderradaufhängung. Auch der Motor unterschied sich in seiner Konstruktion deutlich vom Benz.

Neben den goldenen Verzierungen auf schwarzen Lack und rot abgesetzten Felgen fielen vor allem die schmiedeeisernen Ornamente auf, die als Lampenhalter dienten.1894 erwarb der Fabrikant F. A. Schreiber aus Köthen einen Lutzmann für 4000 Mark. Ein weiterer Lutzmann-Motorwagen wurde sogar ins arabische Aden exportiert, wie das ,,Bernburger Wochenblatt" im August 1895 berichtete. Im Laufe der Jahre wurden Lutzmann-Automobile auch nach Grossbritannien, die Niederlande und zahlreiche andere Länder exportiert.

Lutzmann beschäftigte in seiner Dessauer Fabrik etwa 20 Arbeiter, deutlich weniger als etwa die Konkurrenten Daimler und Benz. Das Unternehmen selbst firmierte ab Dezember 1898 unter dem Namen ,,Anhaltische Motorwagenfabrik". Gegenüber der Konkurrenz von Benz und Daimler hatte der Motorwagen von Lutzmann einen großen Vorteil: Lutzmann verwendete erstmals Kugellager für Achsen und Antriebswellen sowie die Lenksäule, was den Reibungswiderstand des Automobils wesentlich senkte.

Bei eher bescheidenen Motorleistungen von 3 bis 4 PS wirkte sich diese Maßnahme in einer merklichen Erhöhung der Endgeschwindigkeit aus. Die Kugellager stellte Lutzmann in seiner eigenen Werkstatt her, da die für Fahrräder erhältlichen Varianten nicht ausreichend dimensioniert waren. Ein besonderer Schwerpunkt der Konstruktion lag schon bei der Gewichtsminimierung.

1895 ließ Lutzmann sich zudem ein Riemengetriebe patentieren (Pat. 87231 / 93843 / 109473), das mit nur einem Hebel auskam und später in allen Lutzmann-Motorkutschen eingesetzt wurde. Dies führte zu einer wesentlichen einfacheren Bedienung. Gegen Aufpreis gab es auch einen Rückwärtsgang. Zudem verfügten die Fahrzeuge über eine patentierte Freilaufvorrichtung für die Hinterräder, die demselben Zweck diente wie später bei kardangetriebenen Fahrzeugen das Differential.

Benz-Wagen braucht 150 Liter Wasser auf 100 km

Wie auch bei den Benz-Motorwagen dieser Zeit kamen die Riemengetriebe ohne Kupplung aus. Die wohl bedeutendste Verbesserung aber war wohl ein fahrtwindgekühlter Kühlwasserbehälter (Gebrauchsmusterschutz-Nr. 82841), der den Kühlwasserbedarf der Lutzmann-Automobile absenkte, was auch ein großer Vorteil gegenüber der Konkurrenz war. Ein Benz-Wagen dieser Zeit hatte auf 100 km einen Benzinverbrauch von 20 und einen Kühlwasserverbrauch von 150 Litern - ein großer Schwachpunkt der Konstruktion mit einfacher Verdampfungskühlung.

Im Laufe der Produktion wurden immer wieder Verbesserungen eingeführt. Der Motor verfügte über ein ,,automatisches" Einlassventil, das durch Unterdruck gesteuert wurde. Das Auslassventil hingegen wurde über einen Nocken auf der Kurbelwelle gesteuert. Beide Ventile wurden zwecks Vereinfachung in einem Bauteil zusammengefasst (Pat. Nr. 93233).

Alle Motoren waren Einzylinder mit einem Hubraum von 1,5 bis 3,5 Liter Hubraum. Die Leistung lag bei etwa 1,5 bis 9 PS bei 400 bis 500 Umdrehungen pro Minute (U/min). Sie verfügten sämtlich bereits über eine fortschrittliche elektrische Zündung mittels Funkeninduktor. Die Motorgehäuse wurden aus hochwertigem Schmiedestahl gefertigt, wodurch eine überdurchschnittlich hohe Qualität und Langlebigkeit gewährleistet war. Die späteren Modelle mit einem platzsparend in den Benzintank integrierten Oberflächenvergaser erregten einiges Interesse bei Fachpresse und interessierten Laien, die den Lutzmann-Motor als ,,vergaserlos" bezeichneten.

14 Varianten des ,,Pfeil"

Insgesamt wurde der Lutzmann-Motorwagen in mindestens 14 Varianten angeboten, von denen die meisten den Beinamen ,,Pfeil" führten. Von jedem dieser Modellvarianten wurde mindestens ein Exemplar tatsächlich gebaut. Das kleinste Modell war der relativ leichte und einfache Pfeil A beziehungsweise seine Weiterentwicklung, der Pfeil 0, die beide auch als ,,leichte Jagdwagen" bezeichnet wurden.

Als Pfeil 1 B wurde eine besonders elegante Ausführung des zweisitzigen Modells mit Drahtspeichenrädern anstelle der schweren Holzspeichenräder bezeichnet. Wegen seines geringeren Gewichtes erreichte dieses Fahrzeug eine Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h.

Der Pfeil 3 war ein ebenfalls mit der Lutzmann-typischen Achsgabellenkung ausgestatteter Sechssitzer. Eine exotischere Modellvariante waren der Pfeil 4, ein postkutschenartigen Achtsitzer, der Pfeil 5, der an eine Strassenbahn der damaligen Zeit erinnerte und zwölf Passagiere befördern konnte und der Lieferwagen Pfeil 6. Bei späteren Modellen dieses Typs Pfeil 6 ließ sich der Frachtkasten abnehmen, sodass der Wagen auch privat genutzt werden konnte. Der damaligen Mode entsprechend baute Lutzmann auch ein Motor-Dreirad.

Der erste Lutzmann ging nach Großbitannien

Die ersten Besitzer eines Lutzmann in Grossbritannien waren John Adolphus Koosen und seine Frau Kathleen aus Southsea in der Grafschaft Hampshire. Noch 1895 bestellte Mr. Koosen einen ,,Pfeil 1", nachdem die beiden auf einer Urlaubsreise in Deutschland Lutzmanns ,,Dessauer Pfeile" kennengelernt hatten. Am 30. September 1897 wurde im Berliner Hotel Bristol der ,,Verein Deutscher Motorwagen-Industrieller" gegründet, der erste Automobilclub Deutschlands. Friedrich Lutzmann gehörte zu den Gründungsmitgliedern, wie unter anderem auch Vertreter von Daimler, Benz, Skoda, Siemens & Halske und Kühlstein.

Im Anschluss an die Gründungssitzung wurde eine Automobilausstellung veranstaltet mit anschließender Demonstrationsfahrt nach Grunewald. Diese Ausstellung war die erste ihrer Art in Deutschland und Vorgänger der Internationalen Automobilausstellung. Es gab nur vier Aussteller: Benz mit drei, Daimler mit einem und Lutzmann mit zwei Motorfahrzeugen vertreten, außerdem Kühlstein mit einem Elektroautomobil.

Lutzmann geht als Produktionsleiter zu Opel

Lutzmann weckte damit das Interesse der Söhne von Adam Opel, die ebenfalls Mitbegründer des ,,Mitteleuropäischen Motorwagenvereins" waren. Sie bewogen Lutzmann, 1897 zu ihnen nach Rüsselsheim zu kommen und ihnen Wissen, Patente und Anlagen zu verkaufen. Er wurde bei Opel Produktionsleiter.

Doch der technische Fortschritt lief auf und davon. Nur zwei Jahre später waren die Lutzmann-Opels technisch veraltet. 1901 interessierte sich niemand mehr für ihn und seine Arbeit. Das musste auch Lutzmann einsehen, und so waren die Opel-Brüder gezwungen, sich von ihm zu trennen. Nachdem Lutzmann die Adam Opel AG verlassen hatte, versuchte er mit dem Kauf einer Mineralwasser-Getränkefabrik in Untermhaus bei Gera, zu der auch zwölf Filialen mit Trinkhäusern in der Umgebung gehörten, einen Neuanfang. Der mit Opel abgeschlossene Vertrag erlaubte ihm nicht, weiter in der Automobilbranche tätig zu sein. (ampnet/hptb)

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