MOTOR-EXCLUSIVE

Ralf Schütze - 26. April 2019, 15:11 Uhr MOTORRAD

Zero SR/F: Das neue Ende des alten Albtraums

Old Schooler von heute kennen ihn, den einstigen Albtraum: Irgendwann geht's mit fossilen Brennstoffen zu Ende, und was dann? Die jüngste elektrische Rettung vorm einstigen Schreckensszenario heißt Zero SR/F und kommt aus Kalifornien. Ob sie nicht nur für Technologie-Nerds, sondern auch für klassische Biker attraktiv ist, zeigt der Test.


Old Schooler von heute kennen ihn, den einstigen Albtraum: Irgendwann geht's mit fossilen Brennstoffen zu Ende, und was dann? Die jüngste elektrische Rettung vorm einstigen Schreckensszenario heißt Zero SR/F und kommt aus Kalifornien. Ob sie nicht nur für Technologie-Nerds, sondern auch für klassische Biker attraktiv ist, zeigt der Test.

1979 versetzte mich eine schlechte Nachricht in Panik: Bis zum Jahr 2000 seien die Erdölvorräte der USA aufgebraucht, lautete damals die vermeintlich fundierte Schwarzmalerei einer Lehrerin am Gymnasium. Aber heute ist längst klar: Die weltweiten fossilen Brennstoffe reichen weit länger als vor rund 40 Jahren befürchtet. Gleichzeitig machen sich attraktive Alternativen zum Verbrenner breit, gerade beim motorisierten Zweirad. Das jüngste Ende des alten Albtraums von einer nicht mehr möglichen Mobilität heißt Zero SR/F: Ein rein elektrisches Naked Bike, das hyperagilen Fahrspaß bringt - und neuartigen, versteht sich.

Neuartig und ungewohnt ist vieles an der Zero, deren Modellname SR/F sich vom Begriff "Streetfighter" ableitet: Sportlich-agile unverkleidete Motorräder für höchstmöglichen Fahrspaß. Besonders ungewöhnlich ist die urgewaltige Beschleunigung: Die elektrische Antriebskraft setzt impulsiver ein als bei jedem Verbrenner-Bike. Grund: Die brachiale Gewalt von 190 Nm Drehmoment katapultert das nur 220 kg schwere Motorrad gen Horizont. Darin liegt wahrscheinlich der größte fahrdynamische Reiz von Elektromobilität auf zwei Rädern: Der Z-Force 75-10 Wechselstrommotor der Zero SR/F geht stets unglaublich fulminant ans Werk.

Diese schier unbändige Antriebskraft wird von feiner Elektronik im Zaum gehalten, allen voran der Motorrad-Stabilitätskontrolle (MSC) von Bosch samt Kurven-ABS. Für die Technik ist bei Zero Abe Askenazi verantwortlich, ehemals Buell. Er hatte offenbar ein Auge darauf, welche Komponenten fürs neue Topmodell SR/F verwendet werden. So stammen Federung/Dämpfung vorne und hinten von Showa und sind voll einstellbar. Und die Serienreifen Pirelli Diablo Rosso III tragen zur einwandfreien Straßenlage des Elektro-Bikes bei.

Up to date ist die SR/F bei der Connectivity. Eine App ist über Bluetooth mit dem Motorrad verbunden und zeigt wichtige Fahrzeugdaten sowie nahe Ladestationen an. Auf eine Verbindung zur Navigation des Smartphones muss man leider etwas warten, sie wird aber künftig am großen TFT-Display die Richtung zum Ziel weisen. Sowohl am Monitor als auch über die App kann man die Fahrmodi "Street", "Sport", "Eco" und "Rain" wählen. Zehn weitere, individuelle Modi erlauben variable Performance und Rekuperation (also Speicherung von Bremsenergie).

Erster Fahreindruck mit der SR/F: Motorklang vermisst man nicht wirklich. Selbst Fans von knackigem Boxer-, schrillem Vierzylinder- oder polterndem V2-Sound nehmen zwar eine sonderbare Stille wahr, merken dann aber schnell: Gerade deshalb genießt man umso mehr die impulsive Beschleunigung. Der ist man auf dem emissionsfreien Stromer ausgesetzt, wie einst Baron Münchhausen auf der sagenhaften Kanonenkugel. Es mag Motorradfahrer geben, die sich nicht an den fehlenden Motorsound gewöhnen können, jedoch sollte man das für sich persönlich bei einer elektrischen - und vielleicht elektrisierenden - Probefahrt prüfen.

Die Kombination aus neuem E-Motor und 14,4 kWh-Lithim-Ionen-Akkus bringt mehr Reichweite als Elektro-Skeptiker befürchten: Nominell kommt die SR/F in der Stadt 259 km weit, im kombinierten Einsatz 157 km. Im Praxistest waren es 143 km Reichweite. Das mag spärlich klingen, ist für diese Motorradklasse aber kein großes Problem, denn für lange Touren gibt's andere Bikes.

Nächste gute Nachricht: Vor allem das 22.690 Euro teure Premium-Modell mit 6 kW-Schnellladesystem ist im Idealfall in einer Stunde von 0 auf 95 Prozent aufgeladen, bis 100 Prozent dauert es nur weitere 30 Minuten. Worst Case mit der 20.490 Euro teuren Standard-Zero SR/F (3 kW-Ladesystem) an einer Haushaltssteckdose: Viereinhalb Stunden von völlig leeren bis 100 Prozent vollen Akkus.

Allgemein fährt sich die Zero SR/F wie ein typischer Streetfighter: Spurtstark und kurvenhungrig. Dank geringer Breite schlüpft man im dichen Stadtverkehr wieselflink durch lästige Engpässe. Und genießt immer wieder die charakteristischen Spurt-Orgien mit dem Elektro-Bike. Man sitzt mehr im als auf dem Bike. Und trotz kurzen Radstands ist der Abstand zum Lenker großzügig.

Wer die SR/F-Preise ab 20.490 Euro für extrem hoch hält, sollte bedenken: Beim Drehmoment hält nicht mal eine KTM 1290 Super Duke R (16.595 Euro) mit der Zero mit. Die liegt mit 190 Nm deutlich vor der KTM mit "nur" 141 Nm. Auch eine 18.430 Euro teure Ducati Monster 1200 R hält da mit ihren 126 Nm nicht annähernd mit. Außerdem baut sich die Schubkraft der Benziner erst mit steigender Drehzahl auf, die viel größere Power der Zero liegt ab 1/min voll an. Unterm Strich schrecken nicht mal drei Monate Lieferzeit davon ab, der Zero SR/F eine Chance zu geben - selbst wenn man nach der ersten Probefahrt doch beim soundstarken Benziner bleibt.

Ralf Schütze/mid

Technische Daten Zero SR/F Standard (Premium):

Streetfighter mit Wechselstrommotor "Z-Force 75-10", passiv luftgekühlt mit internem Permanentmagneten, max. Leistung: 82 kW/110 PS/5.000 U/min, max. Drehmoment: 190 Nm ab 1 U/min, Akkus: "Z-Force"-Lithium-Ionen mit 14,4 kWh, Ladetyp 3,0 kW integriert (6,0 kW), Ladezeiten: 4,5 h 100 Prozent, 4 h 95 Prozent (Premium: 2,5 h bzw. 2 h); mit Schnellladeoption: 1,8 bzw. 1,3 h (Premium: 1,5 bzw. 1,0 h), kupplungsfreier Direktantrieb, Riemen.
Stahl-Gitterrohrrahmen, USD-Gabel 43 mm voll einstellbar mit 120 mm Federweg, konzentrische Schwinge, voll einstellbare Showa-Federbeine mit externem Reservoir, 140 mm Federweg, Doppelscheibenbremse 320 mm, hinten Einzelscheibenbremse 240 mm, Bosch Kurven-ABS, Reifen vorn: 120/70-17, Reifen hinten: 180/55-17, Sitzhöhe: 770/787/810 mm (versch. Sitzbänke), Leergewicht: 220 (226) kg, Zuladung: 234 (228) kg, Höchstgeschwindigkeit: 200 km/h, Normverbrauch: Stadt vergleichbar mit 0,55 l/100 km, Schnellstraße vergleichbar mit 1,08 l/100 km, CO2-Ausstoß 0 g/km, Preis: 20.490 Euro (22.690 Euro).

Dieser Artikel aus der Kategorie MOTORRAD wurde von Ralf Schütze am 26.04.2019, 15:11 Uhr veröffentlicht.